Was passiert wenn Kinder zu früh in die Kita kommen?
Christiane Jurczik
Ein Thema spaltet die Nation: Ab wann soll ein Kind fremd betreut werden? Mütter sind sich uneins, aber auch die Erziehungsexperten streiten. Während die eine Fraktion eine schlechte Bindungsfähigkeit der Kinder und zu viel Stress für die Kleinen fürchtet, ist sich die andere Seite sicher: Kinderkrippen machen schlau!
Vor nicht allzu vielen Jahren galt es als selbstverständlich, dass Kleinkinder zuhause von ihrer Mutter betreut wurden – um dann mit etwa drei Jahren in den Kindergarten zu gehen. Diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, und immer mehr Frauen beenden ihre Babypause früh. Die Skepsis, ob der Frühstart ins Kitaleben unseren Kindern aber nicht vielleicht doch schadet, ist geblieben.
Das sagen Fachleute
In der Ratgeberliteratur ist zu lesen, wie wichtig die ersten 18 Lebensmonate für eine prägende Bindung sind. In dieser Zeit ist es immens wichtig, dass Kinder eine stabile und sichere Bindung erfahren. Was passiert nun aber, wenn nicht länger nur Mama und Papa für die emotionale Bindung zuständig sind, sondern eine Erzieherin in einer Kitagruppe mit vielen unterschiedlichen Kindern mit jeweils ganz eigenen Bedürfnissen? Entwicklungspsychologen sind sich einig: Normalerweise sind Mutter und Vater die Hauptbezugspersonen!
Die Kindheitsexpertin Fabienne Becker-Stoll ist Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München und berichtet über die Ergebnisse aus der großen Kita-Qualitätsumfrage:
Die letzte große nationale Studie zur Qualität in Krippen und Kindergärten hat gezeigt, dass über 80 Prozent aller Einrichtungen nur über eine mittelmäßige Qualität verfügen. Unzureichende Qualität, und hier müssen wir schon von einer Kindeswohlgefährdung ausgehen, gibt es in 6,8 Prozent der Krippen und in 17,6 Prozent der altersgemischten Einrichtungen. Dazu muss man wissen, dass der massive Ausbau der Plätze für die unter Dreijährigen an vielen Orten keine neuen Krippengruppen nach sich zog, sondern einfach zusätzliche Kindergartengruppen eröffnet wurden für ein- und zweijährige Kinder. Die wuseln dann zwischen Fünf- und Sechsjährigen umher. In diesen gemischten Betreuungsformen kann den Bedürfnissen der Kleinen meist nicht entsprochen werden, auch weil die Erzieherinnen dafür häufig nicht ausgebildet sind.
Becker-Stoll: Meine Kollegen und ich sind für Forschungszwecke, Fortbildungen und Gespräche oft in den Einrichtungen. Wir begeben uns dann sehr früh am Morgen schon an den Ort, sodass wir sehen, wie die Kinder ankommen und begrüßt werden. Beim Begrüßen, aber auch beim Essen, Wickeln, Verabschieden, überhaupt bei der Interaktion zwischen Erzieherin und Kind entspricht vieles nicht den Bedürfnissen der Kinder.
Becker-Stoll: Zunächst braucht man überhaupt ein Bewusstsein dafür, dass es sich hier um wichtige Situationen handelt, um mit den Kindern, aber auch den Eltern ins Gespräch zu kommen, eine Beziehung zum Kind aufzubauen. Wir wollten für eine Studie wissen, wie viele individualisierte Gesprächsangebote ein Kind innerhalb einer Woche bekommt, und haben erfasst, wie oft eine Erzieherin das Kind direkt anspricht oder aus einer Alltagssituation ein Gespräch entwickelt. Und obwohl wir Begrüßung und Verabschiedung mitgezählt haben, gab es Kinder, die in der gesamten Woche nicht ein einziges Mal direkt angesprochen wurden. Sie wurden also nicht mal begrüßt oder verabschiedet.
Der Maßstab für die Qualität einer Kita ist allein das Wohlergehen des Kindes. Also all das, was ein Kind tagtäglich am eigenen Leib erfährt. Ob die Fachkräfte in der Lage sind, feinfühlig auf all seine Bedürfnisse zu reagieren. Nur wenn sich ein Kind wohlfühlt, kann seine Entwicklung langfristig gefördert werden. Ein Kind, das keinen Trost erfährt, wenn es weint, nicht ab und zu die exklusive Aufmerksamkeit der Erzieherin bekommt, wird nie in der Lage sein, sich frei zu entfalten und seinem Bedürfnis nachzugehen, die Welt zu entdecken.
Mit Informationen aus familie.de und Zeit online