Verhaltensstörungen bei Kindern können lebenslange Folge haben
Christa Meves
Wir Kinderpsychotherapeuten haben in unserem Verzeichnis eine sehr gewichtige Kategorie. Das sind die sogenannten Primordialsymptome. Diese Bezeichnung ist vor ca. 80 Jahren im damals existierenden tiefenpsychologischen Institut in Berlin so benannt worden. Die sehr nachdenklichen Fachleute damals hatten mit dieser Bezeichnung umschrieben, dass die Verhaltensstörungen, die in dieser Weise bei kleinen Kindern auftreten, Kennzeichen von Misslichkeiten sind, die Abgewöhnungsversuchen - oft hartnäckig sogar lebenslänglich - trotzen. Einige schwinden zwar mit dem Beginn der Pubertät. Aber bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass sie sich lediglich in ein anderes Erscheinungsbild umgewandelt haben.
Als Erstsymptome im Kindesalter treten sie in Gestalt von kleinen Selbstverletzungen auf, wie z. B. Nägelknabbern und Nagelhautreißen, Schorfaufkratzen, Kopfkratzen, meist mit Essen der Schuppen, Haarereißen, oft auch Augenbrauen und Wimpern, Daumenlutschen bis ins Schulalter hinein, oder auch in Gestalt von psychosomatischen Symptomen, wie Bettnässen bis zur Präpubertät, Tics, Einkoten und Stuhlverhalten, Körper- und Kopfschaukeln, nächtlichem Aufschreien und Essstörungen.
Heute wissen wir, dass die kinderärztliche Auskunft: „Das brauchen Sie nicht zu beachten, das wächst sich aus“, eine nur selten richtige, auf jeden Fall eine oberflächliche Auskunft ist. In der Pubertät baut sich dann nach Verschwinden des Nägelkauens das Ritzen in die Arme auf oder statt Bettnässen eine unbezwingbare Nasch- oder Rauchsucht oder der ehemalige Haarereißer entwickelt einen Ordnungszwang. Das geschieht natürlich nicht bei allen. Oft wird lediglich im Schulalter eine allgemeine unkonzentrierte Unruhe sichtbar. Warum können sich die Kinder solchem allemal anstößigen Verhalten nicht entziehen? Heute hat lange Erfahrung in der Kinderpsychotherapie zu der Erkenntnis geführt, dass dem Ausreifungsprozess des Kindes Einschränkungen entgegenstehen, die das seelische Wachstumsgeschehen offenbar nicht ohne inneren Protest hinnimmt. Allerdings fehlt dem davon befallenen Kind über solche Zusammenhänge das Bewusstsein. Das ist ohnehin noch nicht ausgereift. Deshalb ist es absolut kontraproduktiv, dem Symptom mit Verbot und quälenden Strafmaßnahmen zu begegnen.
Manchmal ermöglichen glückliche Umstände während des Aufwachsens aber auch eine Heilung. Worauf beruht sie? Ihr geht voraus, dass das Kind ein sicheres Selbstbewusstsein entwickelt hat, dass es sich angenommen und geliebt fühlt, dass es sich selbst als junger Mensch für wert hält. Die Voraussetzung dazu ist jeweils ein geheimnisvolles Wunder: Meist hat sich eine Freundschaft zu einer anderen einfühlsamen Person ergeben oder der junge Mensch hat eine Tätigkeit entdeckt, die konstruktiv ist und ihn absolut ausfüllt. Das heißt: Der der Pubertät entwachsene Mensch hat zu der Bestimmung gefunden, für die er im Grunde schon als ungeborenes Kind als besonders begabt angelegt war. Diese kann bereits z. T. in den Genen vorhanden gewesen sein, sie kann aber auch plötzlich mit Anregungen aus dem Umfeld zur Verwirklichung gekommen sein. Bei den Biografien von Künstlern oder auch bei großen Priestern und Propheten lässt sich dergleichen erahnen.
Jedenfalls lohnt es sich, den genannten Erstsymptomen Beachtung zu schenken, statt dass man die Kinder fortgesetzt mit der Frage nervt, warum sie dieses merkwürdige Verhalten trotz all des Bittens der Eltern nicht aufgeben. Aber das können sie eben nicht. Es unterliegt gar nicht ihrem Willen! Und die Ursachen dafür sind im Allgemeinen den Betroffenen, den Eltern und meist auch anderen Laien im Umfeld unbekannt. Es wäre hingegen für die Erziehenden nötig, das Kind nachdenklich in seiner Gesamtheit zu beobachten. Kinder geben meist unbewusst heraus, was sie bedrückt. Sie zeigen das mit der Art der Wutanfälle, sie bekunden das mit unbewussten Symbolen in ihren Zeichnungen, Träumen und Fantasien. Man braucht dann nur einen Kindertherapeuten, der in der Lage ist, diese Äußerungen richtig zu deuten, um herauszufinden, was dem Kind fehlt, um sich seelisch störungsfrei zu entfalten.
Diese Erkenntnisse können uns nicht nur als Erzieher klüger machen. Sie können uns belehren, dass wir allesamt so frei, wie wir uns törichterweise wähnen, gar nicht sind. Wir befinden uns vielmehr an der Longe des Künstlers, der jedes einzelne Genom mit einer geplanten Bestimmung individuell versehen hat. Und das ist unser wundermächtiger Kreator, Gott Vater, der mit jedem von uns ein Ziel hat - das Ziel, dass sich der Mensch bis zu seinem Lebensende seiner geheimen Anbindung an IHN, den allmächtigen Himmelsfürsten, bewusst wird oder sich im Bestfall sogar in eine bewusste Beziehung zu ihm und seiner Dreifaltigkeit setzt - zumal wir seit 2000 Jahren nun einen barmherzigen Hirten haben, der uns die Durchschlagskraft seiner Wunder an einzelnen Kranken darlegte … Sich einer solchen Sichtweise zuzuwenden, lässt die Erziehenden im Hinblick auf die Erstsymptome einer seelischen Unausgewogenheit ihres kleinen Kindes aufmerksam, nachdenklich und hellhörig werden.
Ein kleines Beispiel soll diese Zusammenhänge erläutern: Ein nägelknabbernder achtjähriger Junge z. B. stellt in seinen Zeichnungen von Menschen die Arme als Stümpfe, offen und ohne Hände dar. Genaue Beobachtung zeigt, dass in das Verhalten des Kindes bei seiner Eigenentfaltung zu viel, zu oft in einer ihm unbekömmlichen Weise eingegriffen worden ist. Wenn dem einzelnen Haupterziehenden nun in behutsamer Weise von einem Therapeuten deutlich gemacht wird, dass seine Erziehungsform das Kind hindert, sich seinen Anlagen entsprechend gradlinig zu entfalten, so kann eine solche positiv aufgenommene Einsicht manchmal spontan sogar ein Wunder zur Folge haben: Ohne dass ein Wort darüber gesprochen worden ist, ändert das Kind unversehens sein Verhalten. Dass das dann möglich wird, liegt daran, dass der unbewusste Widerstand aufgegeben werden kann, weil die Notwendigkeit dazu nicht mehr vorhanden ist. Im fortgeschrittenen Grundschulalter (aber NICHT früher!) darf in einigen Fällen auch der Widerstand als berechtigt sogar von der vertrauten erziehenden Person im Gespräch mit dem Kind angesprochen und damit bewusst gemacht werden. Dann kann in harmonischer Gemeinsamkeit vom Kind verstanden werden, was da in ihm versteckt meutert. Und so kann vom Kind im nun wirksamen Entschluss die kleine ärgerliche Störung wirklich hinter sich gelassen werden. Denn die Eltern haben aufgehört, ihr Kind deswegen zu tadeln, weil sie verstanden haben, dass das Fehlverhalten ein unbewusster Selbstheilungsversuch des Kindes ist. Speziell ausgebildete und erfahrene Kinderpsychotherapeuten sind darin heute auch befähigt. Aber - wie gesagt - manchmal ist dergleichen gar nicht nötig. Mit der Veränderung der Einstellung zu dem Kind und mit einer unbefangenen Gläubigkeit im Umfeld löst sich dieses, des Kindes Notprogramm, auf und weicht einer ausgeglichenen Fröhlichkeit.