Ursachen, Formen und Lösungen für die zunehmenden Suchtprobleme
Christa Meves
In schleichender Weise sind wir im Westen eine süchtige Gesellschaft geworden. Klar, der Alkohol war immer schon ein Problem. Damals waren es meist lediglich liebevolle junge Ehefrauen, die vergeblich versuchten, bei ihren alkoholisierten Männern einen Stopp zu erwirken.
Heute bekämpfen sie – und meist auf viel dramatischerer Weise – bei ihren pubertären Jugendlichen nicht allein unmäßigen Alkohol- und Zigarettengenuss, sondern alle Formen von Rauschgift von Cannabis bis Heroin, aber ebenso wenig erfolgreich:
Doch über die Fixierung darüber hinaus gibt es neue Abhängigkeiten: die harmlos scheinende Fernsehsucht und weitere Formen eines unmäßigen Umgangs mit neuen Medien.
Spielautomatensucht und Sexsucht sowie Magersucht lassen sich – sogar mithilfe und mit Anleitung der digitalen Medien – in ein quälendes Suchtpotenzial ausweiten. Doch damit nicht genug: In den letzten 20 Jahren waren weder die Stehlsucht noch die Kaufsucht und eine unaufhörliche Ess- und Naschsucht eine Seltenheit.
Wie konnte uns das in der Nachkriegsgeneration anfallen – in einer Situation, in der wir, die Überlebenden aus dem Krieg, das Wirtschaftswunder mit Staunen in Anspruch nahmen?
Einsicht in das Problem der Sucht
Hatten wir nicht den ehrlichen Wunsch, mit eiserner, hoffnungsvoller Disziplin dieses Land wieder lebensfähig zu machen?
So gab es in den 60er-Jahren in der politischen Verantwortung der BRD einen Stopp für jeglichen Rauschgiftimport. Doch seit den 70er-Jahren herrscht hier das Postulat persönlicher Freiheit vor und erzeugt nun auch hier offene Türen.
Um solche Missstände zu ändern, bedürfte es zunächst einmal einer allgemeinen Einsicht in die Struktur des Phänomens Sucht überhaupt, denn sie ist im Grunde einfach zu verstehen und in den allerersten Anzeichen noch beeinflussbar. Dabei ist es egal, welches Suchtobjekt betroffen ist: Die Voraussetzung besteht in einer immer gleichen Vereinnahmung des gleichen Objektes bei immer stärkerer Ausschließlichkeit anderer Interessen.
Von den Illusionen der Suchtbetroffenen
Warum helfen in dieser Situation nicht die Warnrufe besorgter Angehöriger?
Es ist erstaunlich, wie wenig erfolgreich derlei Bemühungen sind. Sie werden vom Befallenen regelmäßig abgeschlagen und als unnötige Besorgtheiten gebrandmarkt. Die Ursache dieser regelmäßigen Verleugnung liegt aber oft daran, dass der Suchtgefährdete das Gefährliche seiner Einseitigkeit selbst nicht durchschaut oder nicht zugeben kann, weil er viel zu lange meint, seinem Handeln Einhalt gebieten zu können, d. h., er überschätzt seine Willenskraft, die angesprungene Sucht zu beherrschen, und meint lange, sie jederzeit bezwingen zu können.
In dem Maße, wie den spezifischen pathologisch werdenden Betätigungsformen Raum gegeben wird, in dem Maß engt sich der Spielraum für anderweitige Gedanken und Betätigungen ein. Wie eingeklemmt zwischen zwei Felsen, die immer mehr aufeinander zurücken, geht die Freiheit des Süchtigen nun sukzessiv verloren.
Das heißt keineswegs, dass dadurch automatisch das Bedürfnis nach Befreiung aus diesem Elend erfolgt, eher geschieht das Gegenteil. Nach dem Motto: Wenn dies nun meine Lebenserfüllung, meine Bestimmung ist, dann auch mit voller Pulle! Das ist dann aber eine im Grunde resignierte, lebensverkürzende Entscheidung.
Welche Auswege bieten sich an?
Erst wenn ein solcher Zustand erreicht und so ein Bedürfnis nach Therapie mithilfe des Patienten entstanden ist, wächst – am besten in einer Facheinrichtung – Aussicht auf Heilung. Auch bei den selten fehlenden Rückfällen in einer belasteten Außensituation darf dann nicht der Mut verloren werden, damit die neu gewonnene Umgangsweise mit der Sucht wirksam bleiben kann.
Nicht viel anderes gilt es bei süchtig machenden Medikamenten zu bedenken, z. B. um damit den ersehnten Schlaf zu erwirken, oder wenn chronische Schmerzen gedämpft werden sollen. Aber hier ist der Widerstand nicht so hartnäckig und die Änderung in ein nicht so gefährliches Medikament immerhin möglich.
Ins Verbrecherische abzugleiten, ist nicht bei jedem gewählten Suchtobjekt möglich, aber gegeben, wenn das Suchtobjekt Mordlust oder sexuelle Scheinbefriedigung auslöst. Denn diese Wahl hat ihre Ursache oft in einem eigenen sexuellen Missbraucht-worden-Sein als Kind und bedürfte deshalb in all seiner Tragik einer sorgfältigen prophylaktischen Beachtung.
Kinderpädagogik, die die unausgebildete kindliche Hormonlage respektiert (das ist mittlerweile wissenschaftlich erforscht), ist die eigentlich fortschrittliche, die richtige; denn sie respektiert die Beachtung der Entfaltungsnotwendigkeiten alles Lebendigen.
Insgesamt lässt sich aber sagen, dass wir in Bezug auf das Suchtproblem als Gesellschaft von einer unverantwortlichen Gleichgültigkeit und Harthörigkeit sind. Politik, die einer grundsätzlichen Drogenfreigabe zustimmt, ist unverantwortlich, denn sie setzt die Bürger aus, statt sie zu beschützen.