Studie über „Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt“ vorgestellt
Pressemitteilung des Bundesministerium des InnernDer Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, und der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. (KFN), Prof. Dr. Christian Pfeiffer, haben heute gemeinsam erste Ergebnisse des Forschungsprojekts „Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt“ vorgestellt.
In diesem Forschungsprojekt sind in 61 zufällig ausgewählten Landkreisen und kreisfreien Städten rund 53.000 Schülerinnen und Schüler der vierten und neunten Jahrgangsstufen befragt worden. Zu dieser vom BMI finanzierten und in den Jahren 2007/2008 in der wissenschaftlichen Verantwortung des KFN durchgeführten Schülerbefragung liegt nun ein erster Forschungsbericht vor, der sich primär mit der Jugendgewalt und anderen Formen der Jugenddelinquenz aus der Opfer- wie auch aus der Täterperspektive befasst. Der Abschlussbericht zu diesem Forschungsprojekt wird vom KFN in der zweiten Jahreshälfte 2009 vorgelegt, wobei Schwerpunkte dann insbesondere bei der Kinderdelinquenz, der Integration und den kommunalen Präventionsbemühungen liegen werden.
Dazu sagte Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble: „Zur Frage des Anstiegs der Jugendgewalt, zum Anzeigeverhalten der Opfer und zu den Jugendkriminalität fördernden insbesondere aber auch verhütenden Faktoren verfügen wir erstmalig über aussagekräftige, repräsentative Zahlen aus dem gesamten Bundesgebiet. Bisher gab es hierzu nur eher regional begrenzte Informationen und Einschätzungen. Die Daten bieten die notwendige belastbare Grundlage für sich anschließende ressortübergreifende Maßnahmen in Bund und Ländern. Die Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen zur Bekämpfung von Jugendkriminalität im jeweiligen Verantwortungsbereich wird sich, auf diesen neuen Erkenntnissen fußend, weiter verstärken lassen. Ich freue mich sehr, dass uns die Länder bei der Durchführung der Schülerbefragung aktiv unterstützt haben. Hierfür möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bedanken.“
Prof. Dr. Pfeiffer hob als wesentliche Ergebnisse hervor: „Gestützt auf frühere Schülerbefragungen, die vom KFN seit 1998 in zehn Gebieten durchgeführt wurden, und den heute präsentierten Befunden der bundesweiten Datenerhebung können wir breit fundierte Aussagen vorlegen. Besonders ist dabei hervorzuheben, dass die Jugendgewalt in den seit 1998 untersuchten Städten entgegen der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung überwiegend leicht gesunken oder zumindest weitgehend konstant geblieben ist. Eine deutliche Zunahme ist in einem Teil der Gebiete jedoch bei Körperverletzungsdelikten zu verzeichnen. Die Tatsache, dass die Polizei insgesamt betrachtet steigende Zahlen der Jugendgewalt registriert, steht dazu nicht im Widerspruch. Es hat nämlich auch dank der engagierten Vertrauenswerbung der Polizei an Schulen die Anzeigebereitschaft der jugendlichen Opfer von Gewalttaten deutlich zugenommen.“ Zur Erklärung der insgesamt betrachtet eher positiven Trends verweist Prof. Dr. Pfeiffer insbesondere auf sinkende Raten innerfamiliärer Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, auf eine steigende Missbilligung der Jugendgewalt durch Gleichaltrige, durch Lehrerinnen und Lehrer und durch die Eltern. Zusätzlich würden die vorliegenden Forschungsergebnisse eindrucksvoll belegen, dass Maßnahmen zur sozialen und schulischen Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund präventive Wirkung entfalten.
Mit großer Sorge sieht Prof. Dr. Pfeiffer die von den deutschen Jugendlichen berichteten ausländerfeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen. So seien rund 14,4 Prozent der befragten Jugendlichen als „sehr ausländerfeindlich“ einzustufen (19 Prozent der Jungen, 9,6 Prozent der Mädchen). Von den befragten Jungen und Mädchen gaben zudem 4,9 Prozent bzw. 2,6 Prozent an, Mitglieder einer rechtsextremen Gruppe oder Kameradschaft zu sein. Auf antisemitische Einstellungen lassen die Antworten von 6,4 Prozent der Jungen und 2,1 Prozent der Mädchen schließen.
Auffallend sind hierbei die starken regionalen Divergenzen in den Befunden. Für Wissenschaft und Praxis eröffnen die vorliegenden Daten viel versprechende Perspektiven zur Erklärung und Prävention des Rechtsextremismus. Durch einen Vergleich der Lebensbedingungen der Jugendlichen in diesen beiden Gruppen von Städten und Landkreisen wird das KFN nun Erkenntnisse dazu erarbeiten, was den Rechtsextremismus fördert und was ihm nachhaltig den Boden entzieht.
Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble wies darauf hin, dass die vorliegenden Forschungsergebnisse eine Vielzahl von zusammen wirkenden Ursachen, Risiko- und Begünstigungsfaktoren für Jugenddelinquenz und Jugendgewalt belegen, denen nur durch einen breiten gesamtgesellschaftlichen Ansatz begegnet werden kann. Minister Dr. Schäuble: „In besonderer Verantwortung stehen hierbei insbesondere die Eltern, denn die staatlichen Institutionen können im Regelfall nur ergänzend oder begleitend tätig werden. Aber wir müssen aktiv Unterstützung anbieten, zu ihrer Inanspruchnahme ausdrücklich ermuntern und ermutigen.“
Es gelte, einen Umdenkungsprozess, einen Perspektivwechsel in Politik und Gesellschaft im Interesse der Inneren Sicherheit einzuleiten. Statt immer mehr Mittel in die Folgekosten von Gewalt und Extremismus zu investieren, sollte universelle Förderung und darauf aufbauende gezielte und nachhaltig wirksame Prävention gefördert werden. Dies umfasst auch, mit Blick auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten, Best-Practice Initiativen öffentlich zu machen, um Nachahmung zu ermöglichen und anzuregen. Das sprichwörtliche Rad solle und dürfe nicht ständig neu erfunden werden. Die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und somit auch die Bekämpfung von Jugendgewalt, sei ein querschnittliches Handlungsfeld der Politik, es reiche weit über die Belange und Zuständigkeiten des Innenministers hinaus, auch über die Kompetenzen des Bundes. „Hier sind alle gesellschaftlichen Akteure in der Verantwortung. Und wenn wir diese wahrnehmen, jeder an seinem Platz, werden wir auch Veränderungen bewirken können“, so Minister Dr. Schäuble abschließend.
Der vollständige Forschungsbericht ist im Internet verfügbar. HIER