Straßburger Urteil: Gericht hebt Kruzifix-Verbot an Schulen auf
Das eindeutige Urteil: "Die Entscheidung, Kruzifixe in Klassenzimmern anzubringen, fällt in den Beurteilungsspielraum des Staates." Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entschied mehrheitlich, mit 15 von 17 Stimmen, dass christliche Kreuze in Klassenzimmern keine Grundrechte verletzen - weder das Recht auf Bildung, noch das Recht auf Religionsfreiheit.
Mit dieser Kehrtwende, wiedersprechen die Richter einer Entscheidung vom November 2009. Damals hatten die sieben Richter der kleinen Kammer noch geurteilt: Ein christliches Kreuz im Klassenzimmer verletze die Religionsfreiheit der Schüler. Es nehme zudem Eltern die Freiheit, ihre Kinder nach ihren philosophischen Überzeugungen zu erziehen, und sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.
Jetzt entschied die Große Kammer, der Staat müsse zwar bei der Gestaltung des schulischen Umfelds auch die weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern achten. Es lasse sich aber nicht beweisen, "ob ein Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers einen Einfluss auf die Schüler hat". Zudem billigen die Richter dem Staat einen Beurteilungsspielraum zu, wenn es um den Stellenwert der Religion geht, sofern es zu "keiner Form der Indoktrinierung" komme.
Der Staat darf also entscheiden, ob er Kreuze in öffentlichen Schulen aufhängen lässt. Zumal unter den Mitgliedstaaten des Europarates keine einheitliche Haltung zur Präsenz religiöser Symbole in staatlichen Schulen gebe. Das Urteil kann nicht mehr angefochten werden, es ist bindend für alle 47 Mitgliedstaaten.
Es ist das juristische Ende eines langen Streits einer Mutter aus Italien, der vor fast zehn Jahren begann und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg endete. Die Mutter, Soile Lautsi, sah das Kruzifix in der Schule ihrer Söhne als Einschränkung ihrer Erziehungsrechte und der Religionsfreiheit. Das sahen die Richter der kleinen Kammer ähnlich. In Erziehungsfragen sei "konfessionelle Neutralität" geboten, hieß es in der Urteilsbegründung.
Italien war außer sich und so gut wie alle Mitglieder der Regierung Silvio Berlusconis verdammten das Urteil, nannten es abwegig und skandalös. Auch die italienische Linke schimpfte: Das Kreuz könne niemanden beleidigen, sagte der damalige Oppositionsführer von der Demokratischen Partei. Der Vatikan warf dem Gericht gar "laizistischen Fundamentalismus" vor.
Bei einer Umfrage sprachen sich 84 Prozent dafür aus, die Kreuze in den Schulen hängenzulassen.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz reagierte damals erbost; das Urteil gehe "an der Lage in Italien vorbei und ignoriert die tatsächliche Bedeutung des Kreuzes in der Gesellschaft". Die Bischofskonferenzen in Europa wollten darauf hinweisen, "dass Religionsfreiheit nicht 'Frei sein von Religion' bedeutet". Die Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens zeige sich auch in seiner Offenheit und Pflege kultureller Traditionen.
Italien beantragte schließlich eine Überprüfung durch die 17 Richter der Großen Kammer. Und die Kruzifix-Befürworter mobilisierten Unterstützung: Zehn Europarats-Länder mit überwiegend katholischer oder orthodoxer Bevölkerung traten als Drittparteien auf - ein Rekord in der Geschichte des Straßburger Gerichts.
Es schlossen sich 33 vorwiegend konservative Europa-Abgeordnete an, darunter als einziger Deutscher der CSU-Politiker Bernd Posselt. Der sagte kurz vor der Bekanntgabe des aktuellen Urteils, sowohl Menschenrechtskonvention als auch EU-Grundrechtecharta seien "auch in Zukunft ohne Kreuz und Christentum völlig undenkbar", sonst drohe der "geistige Zusammenbruch durch Substanzverlust". Außerdem beteiligten sich eine Reihe Nichtregierungsorganisationen an dem Verfahren, darunter das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.
Damit ging der Streit in die nächste Runde. Bei einer Anhörung Ende Juni 2010 wies der Rechtsvertreter der italienischen Regierung abermals den Vorwurf der Grundrechtsverletzungen zurück. Die Kreuze seien nur "stumme und passive Symbole", die keinen Einfluss auf den Unterricht hätten. Sie seien zudem "volkstümliche Symbole", die zur nationalen Identität gehörten.
Der Vatikan nennt das Urteil historisch
Die Entscheidung lässt die Kruzifix-Befürworter in Italien und Deutschland Jubeln. Die italienische Bildungsministerin Mariastella Gelmini äußerte ihre "große Zufriedenheit". Sie sprach demnach von "einem Urteil, in dem sich ein großer Teil des italienischen Volkes wiedererkennt" und von einem "großen Sieg für die Verteidigung eines wesentlichen Symbols der Geschichte und der kulturellen Identität unseres Landes". Außenminister Franco Frattini äußerte sich laut dem Bericht in einem Brief: "Heute hat das europäische Volksempfinden gewonnen. Denn die Entscheidung wertet vor allem die Stimme der Bürger, die ihre eigenen Werte verteidigen und ihre Identität." Vatikansprecher Federico Lombardi sprach laut "La Repubblica" von "Genugtuung", das Urteil mache Geschichte.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz begrüßte das Urteil. "Der Gerichtshof beweist in der Abkehr von seiner ursprünglichen Entscheidung Sensibilität für die Bedeutung des Kreuzes als religiöses und als kulturelles Symbol", sagte Robert Zollitsch, Vorsitzender der Bischofskonferenz. Das Kreuz stehe "für Frieden, Humanität, Solidarität und Menschenrechte, die auch für die säkulare Demokratie unentbehrlich sind" Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sagte, bei allem Respekt für die Glaubens- und Gewissensfreiheit dürfe "das Wertekorsett, das unsere Gesellschaft zusammenhält, nicht der Gleichgültigkeit geopfert werden".
Mit Material von: Spiegel online
Mit dieser Kehrtwende, wiedersprechen die Richter einer Entscheidung vom November 2009. Damals hatten die sieben Richter der kleinen Kammer noch geurteilt: Ein christliches Kreuz im Klassenzimmer verletze die Religionsfreiheit der Schüler. Es nehme zudem Eltern die Freiheit, ihre Kinder nach ihren philosophischen Überzeugungen zu erziehen, und sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.
Jetzt entschied die Große Kammer, der Staat müsse zwar bei der Gestaltung des schulischen Umfelds auch die weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern achten. Es lasse sich aber nicht beweisen, "ob ein Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers einen Einfluss auf die Schüler hat". Zudem billigen die Richter dem Staat einen Beurteilungsspielraum zu, wenn es um den Stellenwert der Religion geht, sofern es zu "keiner Form der Indoktrinierung" komme.
Der Staat darf also entscheiden, ob er Kreuze in öffentlichen Schulen aufhängen lässt. Zumal unter den Mitgliedstaaten des Europarates keine einheitliche Haltung zur Präsenz religiöser Symbole in staatlichen Schulen gebe. Das Urteil kann nicht mehr angefochten werden, es ist bindend für alle 47 Mitgliedstaaten.
Es ist das juristische Ende eines langen Streits einer Mutter aus Italien, der vor fast zehn Jahren begann und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg endete. Die Mutter, Soile Lautsi, sah das Kruzifix in der Schule ihrer Söhne als Einschränkung ihrer Erziehungsrechte und der Religionsfreiheit. Das sahen die Richter der kleinen Kammer ähnlich. In Erziehungsfragen sei "konfessionelle Neutralität" geboten, hieß es in der Urteilsbegründung.
Italien war außer sich und so gut wie alle Mitglieder der Regierung Silvio Berlusconis verdammten das Urteil, nannten es abwegig und skandalös. Auch die italienische Linke schimpfte: Das Kreuz könne niemanden beleidigen, sagte der damalige Oppositionsführer von der Demokratischen Partei. Der Vatikan warf dem Gericht gar "laizistischen Fundamentalismus" vor.
Bei einer Umfrage sprachen sich 84 Prozent dafür aus, die Kreuze in den Schulen hängenzulassen.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz reagierte damals erbost; das Urteil gehe "an der Lage in Italien vorbei und ignoriert die tatsächliche Bedeutung des Kreuzes in der Gesellschaft". Die Bischofskonferenzen in Europa wollten darauf hinweisen, "dass Religionsfreiheit nicht 'Frei sein von Religion' bedeutet". Die Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens zeige sich auch in seiner Offenheit und Pflege kultureller Traditionen.
Italien beantragte schließlich eine Überprüfung durch die 17 Richter der Großen Kammer. Und die Kruzifix-Befürworter mobilisierten Unterstützung: Zehn Europarats-Länder mit überwiegend katholischer oder orthodoxer Bevölkerung traten als Drittparteien auf - ein Rekord in der Geschichte des Straßburger Gerichts.
Es schlossen sich 33 vorwiegend konservative Europa-Abgeordnete an, darunter als einziger Deutscher der CSU-Politiker Bernd Posselt. Der sagte kurz vor der Bekanntgabe des aktuellen Urteils, sowohl Menschenrechtskonvention als auch EU-Grundrechtecharta seien "auch in Zukunft ohne Kreuz und Christentum völlig undenkbar", sonst drohe der "geistige Zusammenbruch durch Substanzverlust". Außerdem beteiligten sich eine Reihe Nichtregierungsorganisationen an dem Verfahren, darunter das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.
Damit ging der Streit in die nächste Runde. Bei einer Anhörung Ende Juni 2010 wies der Rechtsvertreter der italienischen Regierung abermals den Vorwurf der Grundrechtsverletzungen zurück. Die Kreuze seien nur "stumme und passive Symbole", die keinen Einfluss auf den Unterricht hätten. Sie seien zudem "volkstümliche Symbole", die zur nationalen Identität gehörten.
Der Vatikan nennt das Urteil historisch
Die Entscheidung lässt die Kruzifix-Befürworter in Italien und Deutschland Jubeln. Die italienische Bildungsministerin Mariastella Gelmini äußerte ihre "große Zufriedenheit". Sie sprach demnach von "einem Urteil, in dem sich ein großer Teil des italienischen Volkes wiedererkennt" und von einem "großen Sieg für die Verteidigung eines wesentlichen Symbols der Geschichte und der kulturellen Identität unseres Landes". Außenminister Franco Frattini äußerte sich laut dem Bericht in einem Brief: "Heute hat das europäische Volksempfinden gewonnen. Denn die Entscheidung wertet vor allem die Stimme der Bürger, die ihre eigenen Werte verteidigen und ihre Identität." Vatikansprecher Federico Lombardi sprach laut "La Repubblica" von "Genugtuung", das Urteil mache Geschichte.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz begrüßte das Urteil. "Der Gerichtshof beweist in der Abkehr von seiner ursprünglichen Entscheidung Sensibilität für die Bedeutung des Kreuzes als religiöses und als kulturelles Symbol", sagte Robert Zollitsch, Vorsitzender der Bischofskonferenz. Das Kreuz stehe "für Frieden, Humanität, Solidarität und Menschenrechte, die auch für die säkulare Demokratie unentbehrlich sind" Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sagte, bei allem Respekt für die Glaubens- und Gewissensfreiheit dürfe "das Wertekorsett, das unsere Gesellschaft zusammenhält, nicht der Gleichgültigkeit geopfert werden".
Mit Material von: Spiegel online