Stellungnahme von Schuzh e.V. zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) über den Sexualkunde-Unterricht in Salzkotten
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betreibt Rechts-, Kultur- und GesellschaftsrevolutionDer EGMR hatte über Beschwerden von fünf Elternpaaren zu entscheiden, die zu einer baptistischen Glaubensgemeinschaft gehören. Diese sahen ihr elterliches Erziehungsrecht durch den staatlichen Sexualkundeunterricht verletzt. Sie stützten sich in ihrer Beschwerde auf Art. 2 Satz 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK und ferner auf die Art. 8, 9 und 14 EGMR (Schutz der Familie, des Glaubens und des Benachteiligungsverbots). Art. 2 Satz 2 lautet:
"Der Staat hat bei der Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen."
Sie begründeten ihre Beschwerden wie folgt:
Die Grundschule indoktriniere ihre Kinder entgegen ihrer Reife und entgegen dem Willen der Kinder mit einer schamlosen, ausschließlich emanzipatorischen und pornographischen Sexualerziehung und unterlaufe damit ihre christliche Sexualerziehung.
Das in der Schule für die Sexualerziehung in der 4. Jahrgangsstufe verwendete Buch "Peter, Ida und Minimum" "vermittelt eine Sexualerziehung, die auf bloßer Triebbefriedigung beruht. Das Buch animiert damit die Schüler, sich ihrer Sexualität wie Hunger und Durst je nach Lust und Laune zu bedienen". Der Geschlechtsakt sei danach nichts anderes als Essen oder Trinken. Das Buch enthalte keine Hinweise auf alternative Sexualanschauungen und sei auch für diese nicht offen. Für die christliche Sexualethik, die die Beschwerdeführer teilten, bliebe kein Raum. Die emanzipatorische Sexualauffassung, die die staatliche Schule vermittelt, schließe jene inhaltlich und wesensmäßig völlig aus. Bei den Schülern müsse daher der Eindruck entstehen, dass die Schule sie die einzige und richtige Anleitung zum Gebrauch der menschlichen Sexualität lehre. Die staatliche Sexualerziehung sei daher ideologisch indoktrinär (so die Beschwerde 2455/08).
Das Theaterprojekt "Mein Körper gehört mir!", das im Schulunterricht ihrer Kinder zur angeblichen Missbrauchsprävention im Sexualkundeunterricht eingesetzt wird, sei atheistisch und emanzipatorisch. Ihren Kindern werde durch dieses Projekt ein ausschließlich selbstbestimmtes Sexualverhalten beigebracht. Maßstab dafür sei ausschließlich ihr Gefühl. Sie sollen ihre Gefühle genau wahrnehmen und deren Signalen folgen. Die Kinder würden in verschiedenen Rollen in die sexuellen Missbrauchsszenen einbezogen - einmal als Täter, einmal als Opfer und einmal als Sexualpartner. Damit würde den Kindern die Scham abtrainiert und sie würden spielerisch in pädophiles Verhalten hineinerzogen. Das Theaterprojekt stelle deshalb eine Verführung zum Pädosex dar. Der Merksatz zum Theaterprojekt mache dies deutlich. Er lautet: "Also denk daran, nur du weißt, was dein Körper fühlt. Wenn du ein Ja-Gefühl hast, dann sage auch Ja ... und wenn du ein Nein-Gefühl hast, dann sag auch Nein!" Hat ein Kind ein Ja-Gefühl, weil es entsprechend vom Täter (Jugendlichen oder Erwachsenen) manipuliert wurde oder weil es auf Grund der Belehrungen durch das Theaterprojekt einfach neugierig geworden ist, und lässt sich in sexuelle Handlungen ein, so liegt trotz Ja-Gefühl des Kindes sexueller Missbrauch vor, der nach §176 StGB strafbar ist (so die Beschwerde 8252/10).
Der EGMR wies die Beschwerden als unbegründet zurück und führte dazu im Wesentlichen aus, die schulischen Veranstaltungen seien in einer objektiven, kritischen und pluralistischen Art und Weise durchgeführt worden, und deshalb seien keine Konventionsnormen verletzt. Der EGMR lässt damit erkennen, dass er sich nicht an den Wortlaut des Artikels gebunden sieht. Wäre es anders, hätte er die staatliche Sexualerziehung als nicht vereinbar mit Art. 2 Satz 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK erklären müssen. Denn die beanstandete Sexualerziehung ist nicht objektiv, nicht kritisch und nicht pluralistisch. Der EGMR gibt die traditionelle Bindung der Justiz an das Gesetz, wie sie für einen Rechtsstaat kennzeichnend ist, auf und entscheidet willkürlich im Sinne der emanzipatorischen Ideologie. Diese will von der Bindung an das bestehende verfasste Recht befreien, das in unserem Rechtsstaat die individuelle, persönliche Freiheit garantiert. So vertritt Jürgen Habermas die Auffassung, dass die moderne Gesellschaft ohne verfasstes Recht bestehen könne (I. Lück, "Alarm um die Schule", 1980, S.70). Damit wäre der Bürger dem Staat hilflos ausgeliefert.
Die schulische Sexualauffassung ist frei von allen Normen und Werten, Weltanschauungen und Religionen und steht uneingeschränkt im Belieben des Schülers (Grundschülers!). Diese Sexualauffassung ist ausschließlich emanzipatorisch, indem sie die Sexualität von allen weltanschaulichen, religiösen und gesetzlichen Bindungen befreit.
Diese emanzipatorische Ideologie, die der staatlichen Sexualerziehung zu Grunde liegt, ist Maßstab der EGMR-Entscheidung. Der EGMR setzt diese an Stelle des geltenden Rechts, des geltenden Begriffsverständnisses und der geltenden Werte in unserer Gesellschaft. Deshalb ist für den EGMR "objektiv, kritisch und pluralistisch" das, was dieser Befreiungsideologie entspricht.
Die schulische Sexualerziehung, an der die Kinder der Beschwerdeführer hätten teilnehmen müssen, ist aber nicht objektiv - nach geltendem Begriffsverständnis. Der EGMR lässt nur sein subjektives und ideologisches Verständnis von Sexualität gelten. Danach ist die Sexualität von jeglicher Bindung an eine Ethik und Moral befreit. Sie wird den Schülern deshalb als nichts anderes dargestellt als der Trieb, Hunger und Durst zu stillen. Sexualität nach dieser Ideologie dient ausschließlich der eigenen sexuellen Triebbefriedigung (Lust, Ja-Gefühl). Das geht sogar so weit, dass strafbares Verhalten (§ 176 StGB = sexueller Kindesmissbrauch) - basierend auf dem Ja-Gefühl eines Kindes - akzeptiert und für richtig gehalten wird. Das zielt wohl auch darauf ab, den gesetzlichen Kinderschutz vor sexuellem Missbrauch einzuschränken oder gar aufzuheben - zur restlosen Befreiung der Sexualität von allen Normen unserer Gesellschaft.
Der EGMR richtet sich damit gegen unsere europäische Kultur, die auf der christlichen und jüdischen Sexualethik und auf der sich daraus ableitenden Moral basiert.
Die staatliche Sexualerziehung der Grundschule in NRW ist auch nicht kritisch zu verstehen - im Sinne von "nach präzisen Maßstäben prüfend und beurteilend, genau abwägen" (Duden 2001). Das verkennt der EGMR. Sie ist vielmehr totalitär, indem sie alle anderen Sexualauffassungen an dem Maßstab der Emanzipation misst. Sexualauffassungen, die auf Werten und Normen beruhen, werden danach verworfen, weil sie die Schüler nicht von der bisherigen Kultur und Gesellschaft emanzipieren.
Die staatliche Sexualerziehung nach dem Buch "Peter, Ida und Minimum" und dem Theaterprojekt "Mein Körper gehört mir!" ist auch nicht "pluralistisch". Pluralistisch ist nach dem herrschenden Sprachverständnis eine Sexualerziehung, die gleichberechtigt mehrere Meinungen zur Sexualität nebeneinander bestehen lässt. Gerade das tut die schulische Sexualerziehung nicht. Sie lässt Meinungen und selbst Glaubensüberzeugungen zur Sexualität nicht zu, die die Sexualität nicht mit ausschließlicher Triebbefriedigung nach Lust und Laune gleichsetzen.
Der EGMR betreibt mit seiner Entscheidung nicht nur eine Umwertung von Begriffen und Werten, sondern widersetzt sich seiner Aufgabe, geltendes Menschenrecht anzuwenden.
Nach Art. 2 Satz 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK hat der EGMR dafür zu sorgen, dass die Glaubensüberzeugungen der Eltern im schulischen Unterricht sichergestellt werden. Dazu gehören auch Glaubensüberzeugungen, die die Sexualerziehung betreffen.
Die Beachtung der Glaubensüberzeugung der Eltern ist nach deutschem Recht Voraussetzung für die Zulassung der schulischen Sexualunterrichtung. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus (BVerfGE 47,47, 2. Leitsatz):
"Die Sexualerziehung in der Schule muss für die verschiedenen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sein und allgemein Rücksicht nehmen auf das natürliche Erziehungsrecht der Eltern und auf deren religiöse und weltanschauliche Überzeugungen, soweit diese für das Gebiet der Sexualität von Bedeutung sind. Die Schule muss insbesondere jeden Versuch einer Indoktrinierung der Jugendlichen unterlassen."
Der EGMR verweigert den beschwerdeführenden Eltern ihr Menschenrecht aus Art. 2 Satz 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, ihre Glaubensüberzeugung im schulischen Sexualkundeunterricht sicherzustellen; er begeht damit - bewusst oder unbewusst - eine Rechtsbeugung und fördert damit die emanzipatorische Kultur-, Rechts- und Gesellschaftsrevolution in Deutschland durch indoktrinäre schulische Sexualerziehung.
Der EGMR handelt damit ganz im Sinne von Herbert Marcuse (1898-1979). Marcuse war einer der Väter der Studentenrevolution von 1968, die die Kulturrevolution zur Gesellschaftsrevolution in Deutschland maßgeblich mitbestimmt hat. Marcuse lehrte die Emanzipation von allen Bindungen zur angeblichen Befreiung des Menschen. Marcuse strebte "eine totale Erziehungsdiktatur durch die Intellektuellen an, die vorschreibt, was Glück ist, die die Bedürfnisse bestimmt, die befreiende Funktion ausübt, die aber auch dazu autorisiert und in der Lage ist, gegenläufige Tendenzen zu unterdrücken. Diese repressive Herrschaft muss vom Widerstrebenden zwangsläufig erduldet werden. Das Glück des Individuums, das der Vorstellung der Intellektuellen von dem, was der Begriff Glück konkret beinhaltet, nicht entspricht, ist nicht garantiert, sondern ein solches Individuum ist der Liquidation durch die befreiende Herrschaft preisgegeben" (zitiert nach I. Lück "Alarm um die Schule", S.53).
Der EGMR hat sich offensichtlich in diesem Sinne autorisiert gesehen, gegenläufige Gesinnungen zu unterdrücken.
Armin Eckermann, Schulunterricht zu Hause e.V.