Skandal: Selten wird Werbung gerügt, wenn religiöse Gefühle verletzt werden
Nach Einschätzung des Deutschen Werberates, werden religiöse Gefühle in der Werbung nur selten verletzt. In den vergangenen zehn Jahren gab es aus diesem Grund 111 Beschwerden. In nur einem Fall wurde eine öffentliche Rüge ausgesprochen und eine Werbemaßnahme in 22 Fällen gestoppt. Dies teilte die Selbstkontrollinstanz der Werbebranche anlässlich des 40-jährigen Bestehens mit. In 81 Fällen lag nach Ansicht des Gremiums kein Grund für eine Beanstandung vor, in zwei Fällen wurde die Beschwerde weitergeleitet.
Diese Zahlen stehen im krassen gegensatz zu den heftigen Auseinandersetzungen rund um das Thema "Religion in der Werbung".
Nach der Ansicht von Hans-Henning Wiegmann, Vorsitzender des Deutschen Werberates (Wiesbaden), verhalten sich die meisten Unternehmen bei der Verwendung religiöser Themen und Symbole, vorsichtig. Allerdings hätten sich die Bewertungskriterien des Werberates im Lauf der Zeit verändert. Wiegmann: „Viele Themen, bei denen wir vor 40 Jahren noch gesagt hätten, ‚das gehört sich nicht‘, würden heute keinen mehr aufregen. Aufsehen ist noch kein Ansehen.“
Von den 262 Fällen, die der Werberat im Jahr 2011 zu entscheiden hatte, betrafen lediglich sieben die Verletzung religiöser Gefühle. In 90 Fällen ging es um die Diskriminierung von Frauen, in 25 um die Benachteiligung von Personengruppen und in 24 um Gewaltverherrlichung. In sieben Fällen wurde eine Rüge ausgesprochen.
„Kauf ein, wenn Mutti in die Kirche geht“
Die einzige Rüge in den vergangen zehn Jahren wegen Verletzung religiöser Gefühle erteilte die Einrichtung 2003. Damals hatte eine Brennerei für ein alkoholisches Produkt mit dem Titel „Das Vaterunser des Gräf‘s Pflümli“ geworben. Einige weitere Fälle, in denen sich Konsumenten beklagten: Eine Handelskette und ein Mineralölkonzern bewarben ein 24-Stunden-Einkaufsangebot an sieben Tagen in der Woche mit dem Slogan: „Kauf ein, wenn Mutti in die Kirche geht“. Das Plakatmotiv karikierte eine alte, gebrechliche Frau auf dem Weg zur Kirche. Durch den Werberat zur Stellungnahme aufgefordert, erklärten sich die Unternehmen bereit, die Werbung nicht mehr zu schalten.
„Heute schon gesündigt?“ – kein Grund zur Rüge
Ein Hersteller bewarb sein Schaumbad im Internet mit den Worten „höllisch gut“ oder „Heute schon gesündigt?“. Ein Beschwerdeführer empfand die Verwendung der Worte „Hölle“ und „Sünde“ im Zusammenhang mit einem Körperpflegemittel als unangemessen und sah sich in seinen religiösen Gefühlen verletzt. Der Werberat sah dies anders und verwies darauf, dass Worte wie „Hölle“ oder Sünde“ bereits lange Teil der Umgangssprache seien. In der Vorweihnachtszeit bewarb ein Versandhandelsunternehmen seine Produkte mit dem Slogan „Quelleluja“ – in Anlehnung an das Wort „Halleluja“ (Gelobt sei der Herr). Der Werberat konnte hier keinen Verstoß gegen seine Verhaltensregeln erkennen. In einem weiteren Fall warb ein Händler im Schaufenster seines Geschäfts mit einem Poster, das eine junge Frau in Unterwäsche zeigt. Die Frau saß breitbeinig auf einer Treppe, über ihr der Spruch „Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit“ – in Anspielung auf den Anfang eines Weihnachtsliedes. Nach Intervention des Werberates wurde die Werbung gestoppt.
Christus mit Dornenkrone und Fernbedienung
2006 warf das Gremium dem Fernsehsender MTV eine „eklatante Verletzung religiöser Empfindungen“ vor. Er hatte während der Karwoche unter der Überschrift „Lachen statt rumhängen“ in Anzeigen für den Start einer Zeichentrickserie geworben, die sich mit dem Vatikan beschäftigt. In der Anzeige ist im Hintergrund ein leeres Kreuz zu sehen, im Vordergrund sitzt Christus mit Dornenkrone und Fernbedienung vor einem TV-Gerät und lacht. Der Sender zog die Anzeige zurück.