Psychokonzept von Carl R. Rogers auf Abwegen: Der Mitbegründer der Gruppendynamik „therapierte“ jenseits moralischer Prinzipien
Felizitas Küble, Leiterin des kath. KOMM-MIT-Jugendverlags in MünsterNach Inzest-Vergewaltigung: „Schuldgefühle“ abtrainieren.
Zu jenen „Ikonen“ moderner Psychotherapie und Gruppendynamik, die auch und gerade im kirchlichen Beratungsmilieu Eingang gefunden haben, gehört vor allem Carl R. Rogers, Begründer der sog. „klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie“ und der „Encounter-Gruppen“, mitunter auch als „Begegnungs-Gruppen“ bezeichnet.
Der 1902 in Oak Park (USA) geborene Carl Rogers war ein Schüler des Freud-Schülers Otto Rank. Die in viele Sprachen übersetzten Bücher Prof. Rogers wurden internationale Bestseller und dienen in zahlreichen kirchlichen Beratungsstellen und Fortbildungsmaßnahmen als programmatische Grundlage und psychologische Richtschnur.
Rogers spezielle Gesprächstherapie wird auch als „nicht-direktive Beratung“ bezeichnet, weil sie bewußt darauf verzichtet, dem psychisch belasteten „Klienten“ Verhaltensmaßstäbe zu vermitteln oder auch nur eine Empfehlung zu geben.
Der problemgeplagte„Ratsuchende“ darf also im Grunde keiner sein - zumindest soll der Berater nach Rogers keinen Rat erteilen, sondern die Gefühle und die innere „Befindlichkeit“ des „Klienten“ voll und ganz akzeptieren und ihm so das Gefühl des Angenommenseins vermitteln. Durch diese wohlwollende Atmosphäre eröffne sich dann im „Klienten“ sozusagen von selber die für ihn geeignete Lösung seiner Schwierigkeiten.
Kritiker weisen darauf hin, daß der seelisch kranke Patient mit diesem - auf den ersten Blick wohlklingenden - Konzept auf sich selber zurückgeworfen wird, daß man den Dingen nicht auf den Grund geht und die Ursachen seelischer Störungen nicht fachmännisch analysiert, daß der „Klient“ stattdessen lediglich das „Bonbon“ einer freundlichen Beziehung zum Therapeuten erhält, was ihn tatsächlich stimmungsmäßig einige Zeit „erheben“ kann, ohne jedoch die zugrundeliegenden Probleme und Konflikte zu beleuchten, geschweige zu lösen.
Von christlich-konservativer Seite wird überdies der Einwand erhoben, daß Rogers Therapie auf einem unbiblischen und unrealistischen Menschenbild aufbaut, daß Sünde, Schuld und persönliches Versagen ausgeklammert werden, daß die menschliche Willensfreiheit kaum zum Tragen kommt und daß tatsächliche Schuld aus dem Blickfeld gerät oder durch psychologische Floskeln und eine ausufernde Akzeptanz-Ideologie verdrängt und verbrämt wird.
Daß diese Kritik durchaus berechtigt ist, mag folgendes Beispiel demonstrieren, das angesichts der monatelangen deutschen Debatte um Kindesmißbrauch und sexuelle Gewalt nicht „nur“ aufschlußreich, sondern überdies auch aktuell ist:
In seinem 1987 im Frankfurter Fischer-Verlag erschienenen, gruppendynamisch orientierten Buch "Encounter-Gruppen – das Erlebnis der menschlichen Begegnung“ entfaltet Rogers seine „Gesprächstherapie“ auf der Gruppenebene und erläutert, wie wichtig die „Begegnungs-Gruppe“ für das Erlernen von „Akzeptanz“ sei.
Auf der Buch-Rückseite gibt sich der Fischer-Verlag euphorisch:
„Die Encounter-Gruppe ist eine der aufregendsten Erfahrungen unseres Jahrhunderts, ein bedeutender Schritt vorwärts auf dem Wege zu einer humaneren, freieren und demokratischeren Gesellschaft; ihr zum Durchbruch verholfen zu haben, ist das große Verdienst Carl R. Rogers.“
Zum „Durchbruch“ kam hierbei allerdings auch der Abbruch dessen, was unter Begriffen wie „Sittlichkeit“, „Ethos“ oder „Naturrecht“ geläufig ist. Das bürgerliche Sittengesetz (von christlichen Prinzipien ganz zu schweigen) wird bei Rogers völlig seiner Verbindlichkeit beraubt, denn objektive Maßstäbe gibt es nicht, alles muß schließlich „akzeptiert“ werden – selbstverständlich auch Inzest und Vergewaltigung bzw. beides zusammen in einer Handlung.
Selbst bei perversen Verbrechen (diese sind bei den Betreffenden ein „wichtiger Aspekt seiner selbst“) gibt Rogers seine verstiegene und fehlgeleitete Ideologie einer allumfassenden „Akzeptanz“ nicht auf.
Hierzu der Beweis:
In seinem Buch „Encounter-Gruppen“ heißt es auf den Seiten 27 und 28 wörtlich:
"Der Prozeß der Exploration ist nicht immer einfach und nicht immer ist die ganze Gruppe empfänglich für derartige Selbstenthüllungen.
In einer Gruppe von jugendlichen Heimbewohnern, die alle in der einen oder anderen Weise in Schwierigkeiten geraten waren, eröffnet ein Junge einen wichtigen Aspekt seiner selbst und trifft damit sofort und gleichzeitig auf Akzeptierung und scharfe Ablehnung bei den übrigen Gruppenmitgliedern.
George: Die Sache ist die, ich habe zu Hause zu viele Probleme. Ich glaube, ein paar von euch wissen, warum ich hier bin und weshalb ich verurteilt wurde.
Mary: Ich nicht.
Leiter: Willst du darüber reden?
George: Naja - es ist irgendwie peinlich.
Carl: Komm schon, so schlimm kann es nicht sein.
George: Also, ich habe meine Schwester vergewaltigt. Das ist das einzige Problem, das ich zu Hause habe - und ich glaube, das habe ich bewältigt. (Ziemlich lange Pause.)
Freda: Das ist ja grausam.
Mary: Jeder hat seine Schwierigkeiten, Freda. Ich meine, du weißt doch schließlich....
Freda: Ja, natürlich, aber trotzdem!!!
Leiter (zu Freda): Du kennst solche Probleme, aber trotzdem erscheinen sie dir grausam.
George: Ich habs ja gesagt. Es ist peinlich, darüber zu reden.
Mary: Ja, aber es ist gut so.
George: Es tut weh, darüber zu reden, aber ich weiß, daß ich es tun muß, wenn ich nicht für den Rest meines Lebens mit Schuldgefühlen herumlaufen will.“
Soweit die aufschlußreiche Darstellung einer Gruppensitzung. Letztlich steht nicht der Übeltäter und seine Untat am Pranger, sondern Freda, da sie sich weigert, hierzu eine „akzeptierende“ Haltung einzunehmen.
Hingegen hat George sein „einziges Problem“ – eigenen Angaben zufolge - wohl durchaus „bewältigt“. Ob seine vergewaltigte Schwester „es“ bewältigt hat, spielt offenbar keine Rolle - weder für ihn noch für die anderen Gruppenteilnehmer: mit Ausnahme Fredas.
Sowohl der Leiter wie die Dame Mary versuchen, auf Freda einzuwirken, damit sie ihre moralisch geschockte Haltung überwindet und sich in den verständnisvollen Kreis der „Akzeptierenden“ begibt. Schließlich will George durchaus nicht, wie er abschließend selber erklärt, „für den Rest meines Lebens mit Schuldgefühlen herumlaufen“ - das wäre doch zuviel verlangt....
Eben dieser Meinung ist offensichtlich auch Rogers, der große Therapeut der unbedingten und umfassenden Akzeptanz von allem und jedem (Verbrechen).
Direkt nach dem vorhin zitierten Gruppen-Dialog würdigt er Mary, die ein „besonders tiefes Akzeptieren“ zeige, wogegen George von Freda „psychologisch ganz offensichtlich ausgeschlossen wird“ - wie bitter aber auch:
“Freda schließt ihn psychologisch ganz offensichtlich völlig aus, während Mary ein besonders tiefes Akzeptieren zeigt. George ist eindeutig entschlossen, das Risiko einzugehen."
Wie „fortschrittlich“ also, daß es Encounter-Gruppen gibt, damit die therapeutisch unbedarften Fredas dieser Welt ihren moralischen „Tick“ abbauen - und Untaten aller Arten und Abarten sich einer „besonders tiefen Akzeptanz“ erfreuen dürfen.
Zugleich wird an diesem Beispiel anschaulich klar, daß Encounter-Gruppen und die gruppendynamische Bewegung insgesamt einen psychologischen „Religionsersatz“ darstellen:
Der Täter sucht nicht den Beichtvater auf, sondern die „Begegnungs-Gruppe“: was er von ihr will, ist im Grunde eine Absolution („ich will nicht für den Rest meines Lebens mit Schuldgefühlen herumlaufen“). Die Gruppe soll ihm vermitteln: „Du bist o.k. so, wie Du bist.“
Erinnert dies nicht an christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit, gar an das Sakrament der Beichte?
Dies ist nur auf den ersten Blick der Fall, denn es handelt sich um einen Freispruch
ohne Buße: Tugenden und sittliche Herausforderungen wie klare Selbsterkenntnis, wahrheitsgemäße Selbstanklage, Umkehr und (Versuch einer) Wiedergutmachung kommen nicht vor.
Vielmehr werden unbußfertige Sünder durch die Akzeptanz der Gruppe „absolviert“, furchtbare Verbrechen zu „Problemen“ verniedlicht, die der Betreffende angeblich bereits „bewältigt“ hat – oder wohl doch nicht ganz, da er offensichtlich die „Absolution“ der Gruppe herbeisehnt.
Zugleich wird es von der Gruppe her problematisiert, wenn jemand Untaten zutreffend beim Namen nennt (Freda: „Das ist ja grausam!“) und sich nicht mit dem Täter, sondern mit dem Opfer identifiziert und solidarisiert.
Abgesehen davon, daß weder eine „Encounter-Gruppe“ noch sonst eine irdische Einrichtung als gültige „Instanz“ für eine moralische „Absolution“ fungieren kann, ist das „Freispruch-Verfahren“ frei nach Rogers „klientenzentrierter Gesprächstherapie“ samt uferloser „Akzeptanz“ selbst unter rein psychologischen Gesichtspunkten völlig verfehlt - dies vor allem deshalb, weil es notwendigerweise „täter-zentriert“ ist, statt den Täter zum Guten hin zu therapieren, was ohne Reue und Umkehr nicht möglich ist.