Presseschau zum „Hearing der Odenwaldschule zu sexuellen Mißhandlungen“
Die Odenwaldschule in Heppenheim, die aufgrund eines massiven Mißbrauchsskandals in die Schlagzeilen kam, organisierte im Rahmen der Feierlichkeiten ihres hundertjährigen Bestehens ein „Hearing“ zu sexuellen Verfehlungen von Lehrern, vor allem des ehemaligen Direktors der Schule, Gerold Becker.Die Frankfurter Rundschau (FR) vom 12. Juli 2010 beschrieb die Ruhe dabei als „grotesk“ und berichtete: „Zum öffentlichen Hearing während der Feiern zum 100-jährigen Bestehen der OSO, das am Sonntag endete, waren die Täter nicht gekommen. Keiner der noch lebenden Lehrer, die in den 70er und 80er Jahren mindestens 50, vermutlich aber mehr als 100 Kinder und Jugendliche missbraucht hatten, wagte sich, die "Wahrheit" - so der Titel - aus seiner Sicht darzustellen.“
Opfer von Gerold Becker beschrieben detailliert in erschütternder Art und Weise wie die Mißbräuche vor sich gingen. Das führte aber laut FR nicht zu mehr Einsicht, sondern zu peinliches Schweigen: „Jeder in der Halle fragt sich: Wie konnte der Missbrauch passieren, ohne dass das Kollegium revoltierte? Die Frage bestimmt den Rest des Abends. Als klar wird, ein paar Lehrer aus der Becker-Ära sind im Saal, entsteht eine Art Kreuzverhör. Es fallen viele Sätze wie: "Ich habe keine Erinnerung, es tut mir leid." Einer sagt: "Wir sind nicht auf die Idee gekommen, dass er (Becker, die Redaktion) übergriffig sein könnte." Alles sei im "Dunkeln des Herderhauses", Beckers Wohnung, geschehen. Man kann das glauben. Viele glauben es nicht. Salman Ansari, den Ex-Lehrer, der sich sogar aufs Podium wagt, quält die Erinnerung sichtlich: "Wir waren mehr mit uns selbst beschäftigt als mit den Kindern."
In ähnlicher Weise berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juli 2010: „“Hört endlich zu!“ – diesen Satz brüllt ein ehemaliger Schüler am Freitagabend in der alten Turnhalle der Odenwaldschule, die vier Tage lang ihr hundertjähriges begeht. Und die Menschen in der Halle hören ihn zu, nachdem ihm niemand zuhören wollte, niemand etwas von dem Mißbrauch an der Schule wissen wollte. . . . Auch die Täter, die noch am Leben sind, schweigen. Sie sind zum „Hearing“ eingeladen worden, keiner ist gekommen. Die ehemaligen Lehrer sprechen während des „Hearings“ von einem Umfeld der Verantwortungslosigkeit“ Sie sprechen davon, daß sie nicht auf ihre Aufgaben vorbereitet worden seien. Ein Altschüler sagt: „Ein Drittel von euch hatten doch sexuelle Verhältnisse mit Schülern“.
Zeit-Online beschreibt, wie sich um den systematischen Mißbrauch von Schülern ein komplizenhaftes Schweigen ausbreitete: „"Was hat Euch davon abgehalten, nachzuforschen, wer noch betroffen ist?" fragt Dohnanyi einen Lehrer von damals im Publikum. "Ich hatte Angst, dass die Schule dicht macht", antwortet der. "Ihr wolltet Euren eigenen Arsch retten, das wolltet ihr!" schmettert ihm einer entgegen. Salman Ansari mahnt zu einer sachlichen Diskussion. Als die Missbrauchsfälle Ende der 1990er Jahre publik wurden, versuchte der Lehrer aufzuklären und stieß auf den Widerstand des Kollegiums. "Für mich war klar, auf welcher Seite ich stehe. Die Schule war mir egal." Den Kollegen und der Leitung sei es aber immer zuerst darum gegangen, den Ruf der Schule zu schützen. Mit der geht er hart ins Gericht: "Wir Lehrer an der Oso hatten keine Konzepte, wir hatten nur unsere Ideologien. Wir haben unsere Kämpfe ausgetragen, die Kinder waren nur Zuschauer.“
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 11. Juli 2010 beschreibt das irrsinnige Doppelleben Beckers: „Becker hat es jeden Tag versucht. Wenig später hat er Ethik-Unterricht gegeben und sonntags die Predigt gehalten. Am Tage des Herrn ließ er uns in Ruhe.“