NRW: Eltern- und Lehrerverbände kritisieren Einheitsschule/Hamburger Volksentscheid ein „Signal“ gegen Schul-Experimente
Felizitas Küble, Leiterin des KOMM-MIT-Jugendverlags in MünsterAm 18. Juli 2010 entschieden sich die Hamburger mit einer satten Mehrheit gegen eine „Schulreform“, die sich die regierende CDU von ihrem grünen Koalitionspartner aufdrängen ließ: Das Gesetz sah vor, daß die Grundschule von bislang 4 Jahren auf 6 Jahre verlängert wird. Elternverbände erkannten die Auswirkungen dieser „Schulreform“, die vor allem eine Vernachlässigung der lernfreudigen und leistungsfähigen Kinder mit sich bringen würde.
Deshalb verlangte die Initiative “Wir wollen lernen“ einen Volksentscheid und setzte ihn durch: Hamburgs Bürgerschaft verpaßte der “Reform” einen dicken Strich durch die Rechnung. Die Verärgerung im rot-grünen Lager war deutschlandweit groß und die Verbitterung unübersehbar. - Auch das seit Jahrzehnten linksgestrickte Politmagazin „Panorama“ (ARD) vom 22. Juli 2010 beschwerte sich über den Hamburger Volksentscheid. Bereits der Titel der Sendung war bezeichnend: „Egoismus macht Schule.“
Am Dienstag, den 20. Juli 2010, zwei Tage nach dem Hamburger Volksentscheid, veranstaltete das „Kuratorium Deutscher Schulbuchpreis“ eine Fachtagung in Bielefeld. Dabei diskutierten Politiker, Wissenschaftler und Vertreter von Eltern- und Lehrerverbänden über das Für und Wider der Einheitsschule, wie sie die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen einführen will. Sowohl das „Westfalenblatt“ wie die „Neue Westfälische“ berichteten ausführlich über das hochrangig besetzte Symposium, das im Bielefelder Mariengymnasium stattfand.
Die Kritiker der Gesamtschule begrüßten die Hamburger Entscheidung als ermutigendes Signal für den Erhalt des bewährten dreigliedrigen Schulwesens: Hauptschule – Realschule – Gymnasium.
Anders Josefine Paul, die stellv. Fraktionsvorsitzende der Grünen in NRW. Die Politikerin aus Münster verteidigte das Vorhaben der Landesregierung, wonach in den nächsten fünf Jahren 30% der allgemeinbildenden Schulen zu Einheitsschulen umgewandelt werden sollen. Zudem solle der bisherige „Frontal-Unterricht“ durch „mehr Teamarbeit“ verdrängt werden. Diese Strukturveränderungen könnten mehr Schüler zu einem besseren Abschluß führen, erklärte Josefine Paul.
Diese Thesen stießen auf massiven Widerspruch von Professor Dr. Rainer Dollase, der Pauls Thesen einzeln auseinanderpflückte; seine Ausführungen wurden vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen: Zunächst stellte er fest, daß das rotgrüne Schulvorhaben „ein Fehler an sich“ sei, das sich „in keiner Weise wissenschaftlich rechtfertigen läßt“. Danach befaßte er sich mit den Details: so sei es keineswegs erwiesen, daß „längeres gemeinsames Lernen“ den Schulerfolg verbessere. Die von Rotgrün angestrebte Reform gehe an der schulischen Wirklichkeit vorbei.
Prof. Dollase betonte, daß er soeben 35 Hospitationen vor allem an schwierigen Schulen hinter sich habe, darunter Berlin, Hamburg und Ruhrgebiet. Dies habe ihn darin bestärkt, daß das Projekt Einheitsschule der falsche Weg sei. Dasselbe gelte für das Verlängern der Grundschulzeit von 4 auf 6 Jahre, das in Hamburg von der Bürgerschaft abgestraft wurde. Dies Experiment sei in Berlin schon lange eingeführt und habe keinerlei positives Ergebnis gebracht, erläuterte Dollase den Zuhörern.
Der Wissenschaftler räumte ein, daß er früher selbst Anhänger der Gesamtschule gewesen sei. Doch die schulischen Realitäten und vergleichende Studien der Lernergebnisse hätten ihn eines Besseren belehrt. Das dreigliedrige Schulsystem habe sich dauerhaft bewährt.
Prof. Dollase wandte sich zugleich gegen das „Schlechtreden“ der Hauptschulen und setzte sich entschieden für den Erhalt der eigenständigen Hauptschulen ein. Zudem sollten Hauptschul-Absolventen mehr Chancen auf dem Arbeitsplatz erhalten: „Wir brauchen wieder mehr Menschen, die gerne einfachen Arbeit machen“, erklärte er und fügte hinzu: „Die Diskriminierung wegen eines Schulabschlusses ist nicht im Antidiskriminierungsgesetz verankert. Aber dort gehört sie rein.“
Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins NRW, pflichtete den Ausführungen von Prof. Dollase bei. Es sei ihr „ein Stein vom Herzen gefallen“, erklärte die Mutter dreier Kinder, als sie am Sonntag das Ergebnis des Hamburger Volksentscheides erfahren habe: „Die Differenzierung nach vier Jahren ist für viele Kinder eine Rettung.“ - Entweder, weil sie sich vorher in der Grundschule gelangweilt hätten oder weil sie an einer weiterführenden Schule das Gefühl hätten, unter ihresgleichen zu sein.
Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologenverbandes in NRW, begrüßte den jüngsten Volksentscheid für das bisherige Schulsystem ebenfalls: „Hamburg hat viele Bildungslinke schockiert“, stellte er fest. Er selbst habe nicht mit diesem Ergebnis gerechnet: „Aber die Entscheidung ist ein Geschenk für uns und wichtig für die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen.“