Neuveröffentlichung: “Moralische Panikmache” gegen die Kirche - Die Pädophileskandale als Vorwand einer umfassenden Schmutzkampagne
Buchbesprechung – Massimo Introvigne: Preti pedofili: La vergogna, il dolore e la verità sull'attacco a Benedetto XVI, San Paolo Edizioni, Cinisello Balsamo (Mailand) Mai 2010
Mathias von Gersdorff
Der katholische Verlag San Paolo hat soeben ein Buch des Soziologen Massimo Introvigne herausgegeben, das aufgrund des brisanten Themas gleich nach Erscheinen große Aufmerksamkeit auf sich zog. Introvignes Buch ist eine Analyse der öffentlichen – vor allem mediatischen – Diskussion und versucht die Hindergründe und Motive der äußerst aggressiven Berichterstattung vieler Medien zu erläutern.
Der Schlüsselbegriff in Introvignes Studie ist „Panico Morale“, im Englischen „Moral Panic“, ins Deutsche oft als „Moralische Panik“ übersetzt. Dieser Begriff aus der Soziologie, der in den 1960er Jahren entstand, beschreibt einen kollektiven Zustand der Emotionen, der laut Introvigne drei Eigenschaften hat. Erstens: Es handelt sich in der Regel um Probleme, die schon lange, manchmal Jahrzehnte existieren, aber von den sozialen Kommunikationsmittel als etwas „Neues“ präsentiert werden. Zweitens: Es werden unprofessionel ermittelte Statistiken und sonstige Zahlen als Beweise herangezogen, die ständig wiederholt werden, ohne zu hinterfragen, ob sie stimmen oder nicht. Drittens: Gewisse „Moralapostel“ (imprenditori morali) gewinnen großen Einfluß dank ihrer starken Rolle als Multiplikatoren in der öffentlichen Diskussion.
Es ist wichtig zu beachten, daß bei einer moralischen Panik der Sachverhalt an sich keine reine Erfindung ist, doch die statistische Dimension wird ins Groteske übertrieben.
Wie Introvigne sehr genau beschreibt, ist genau dies im Falle der Pädophilieskandale geschehen. Selbstverständlich ist jeder Mißbrauchsfall entsetzlich. Doch es ist nicht irrelevant, ob es 2, zweihundert oder zweitausend Fälle waren. Die moralische Panik schafft es, zwei Fälle wie zweitausend erscheinen zu lassen. Und wie Introvigne in seiner Studie nachweist, ist das genau das Ziel vieler Medien, die eine regelrechte Hetzkampagne gegen die katholische Kirche und Papst Benedikt XVI. veranstaltet haben.
Am Anfang der letzten Welle von Attacken steht entsprechend Introvigne im Bericht der BBC vom Oktober 2006 „Sex Crimes and the Vatican“, die übersetzt auch in anderen Ländern ausgestrahlt wurde. In dieser Sendung werden die abstoßenden Verbrechen des ehemaligen irischen Priesters Oliver O´Brady. Dieser vergewaltigte in Kalifornien von 1976 an mehrere Kinder und wurde im Jahr 1993 zu 14 Jahren Haft verurteilt. In der Dokumentation wird insbesondere versucht zu zeigen, daß die katholische Kirche diesen Priester geschützt und sich damit schuldig und haftbar gemacht hat. Das war auch in den Rechtsprozessen die Argumentationslinie der Anwälte, denen es vor allem um möglichst hohe Entschädigungszahlungen ging. O´Brady äußert sich ganz im Sinne der Rechtsanwälte und belastet den damaligen zuständigen Bischof Roger Mahony. Wichtige Fakten bleiben in der BBC-Dokumentation unerwähnt: 1984 wurde der Fall O´Brady von der Polizei archiviert und zwei Psychologen haben attestiert, daß er nicht gefährlich sei. Bischof Mahony hat also nicht fahrlässig gehandelt. In der Tat haben im Fall O´Brady alle Instanzen versagt, was natürlich bedauernswert ist. Man kann aber nicht der katholischen Kirche bzw. Bischof Roger Mahony vorwerfen, daß er den Fall vertuscht habe. Seit dem Erscheinen von „Sex Crimes and the Vatican“ zielen alle Attacken darauf, zu zeigen, daß die Kirche – Bischöfe, Vatikan oder Papst – darauf bedacht seien, die Pädophiliefälle zu verheimlichen. Wesentliche Informationen, die ein ganz anderes Bild ergeben würden, werden ignoriert.
So wird beispielsweise nie erwähnt, daß sich die Fälle drastisch reduziert haben, seitdem die Glaubenskongregation unter der Führung von Kardinal Joseph Ratzinger in den 80er Jahren Maßnahmen gegen die pädophilen Priester eingeführt hat.
Zur Schaffung einer Moralischen Panik gehört eine Verzerrung der Zahlen. Hierüber gibt die von Massimo Introvigne zitierte Studie des John Jay College über die Situation in den Vereinigten Staaten Auskunft. Diese zeigt, daß in den Jahren 2002 – 2010 die Zahl der Pädophilie-Fälle dank der getroffenen Maßnahmen seitens der US-Amerikanischen Bischöfe drastisch gesunken ist. Auch zeigt die Studie, daß 78,82 % der Fälle gar nicht pädophiler Natur sind, da die Opfer das Alter der Pubertät bereits überschritten hätten. Eindeutige Fälle von Pädophilie gab es 958 in 52 Jahren, also 18 pro Jahr, von denen 54 überhaupt verurteilt wurden, d.h. rund ein Fall pro Jahr. Vielen Medien geben aber den Eindruck, daß es innerhalb der katholischen Kirche von pädophilen Priestern nur so wimmelt.
Introvigne geht ebenso auf den Vorwurf ein, gewisse Strukturen und Anforderungen an die Priester seien der Grund für die Skandale. Zumeist wird der Pflichtzölibat genannt. Der Autor zitiert die Studie von Philip Jenkins aus dem Jahr 1996 „Pedophiles and Priests. Anatomy of a Contemporary Crisis“. Diese zeigt, daß in den Vereinigten Staaten der Prozentsatz pädophiler katholischer Priester abhängig von der Region zwischen 0,2 und 1,7 % schwankt. Bei den Protestanten, bei denen es ja bekantlich keinen Zölibat gibt, sind 10 % an sexuellen Mißbräuchen beteiligt und 2 – 3 % sind pädophil. Besonders schwerwiegend ist die Situation unter den Anglikanern. So schreibt ein Bericht des evangelischen Informationsdienstes „Christian Ministry Resources“, daß es in den Vereinigten Staaten 70 Anzeigen (keine Verurteilungen!) im Jahr 2002 pro Woche gab. Der schon zitierte Jenkins berichtet von 39 Fällen allein im Jahr 1992. Wesentlich höher sind die Zahlen von Mißbräuchen seitens Sportlehrer und sonstigen Lehrkräften an den Schulen.
In den Angriffen gegen Papst Benedikt XVI. ist das Alter der Fälle besonders eklatant. Der deutsche Priester Peter Hullermann wurde im Jahr 1986 verurteilt. 24 Jahre später kam er auf die erste Seite der Zeitung, um den Papst zu belasten. Noch älter war der Fall des Priesters Lawrence Murphy, der 1974 verurteilt wurde. In beiden Fällen konnte nachgewiesen werden, daß Papst Benedikt XVI. bzw. Kardinal Joseph Ratziger als Präfekt der Glaubenskongregation nicht fahrlässig gehandelt und diese Fälle nicht „vertuscht“ hat.
Massimo Introvigne beleuchtet nicht nur die öffentliche Auseinandersetzung um die Pädophilieskandale, sondern hinterfragt ganz am Anfang seines Buches, wie diese überhaupt passieren konnten. Er beruft sich auf den Hirtenbrief Benedikt XVI. an die Katholiken in Irland, in welchem der Heilige Vater eine destruktive Säkularisierung beklagt: „In den vergangenen Jahrzehnten hatte die Kirche in Eurem Land jedoch aufgrund der raschen Umgestaltung und Säkularisierung der irischen Gesellschaft neue und ernste Herausforderungen für den Glauben zu meistern. Der schnelle soziale Wandel hat oft das traditionelle Festhalten der Menschen an der katholischen Lehre und ihren Werten beeinträchtigt. Viel zu häufig wurden das sakramentale Leben und die Frömmigkeitsübungen vernachlässigt, die den Glauben erhalten und sein Wachstum ermöglichen, wie etwa die regelmäßige Beichte, das tägliche Gebet und jährliche Exerzitien. Bezeichnend war während dieser Zeit auch die Tendenz vieler Priester und Ordensleute, Denk- und Urteilsweisen weltlicher Realitäten ohne ausreichenden Bezug zum Evangelium zu übernehmen. Das Programm der Erneuerung, das das Zweite Vatikanische Konzil vorgeschlagen hat, wurde zuweilen falsch gelesen; in der Tat war es angesichts des tiefen sich vollziehenden sozialen Wandels wirklich nicht einfach zu wissen, wie es umzusetzen war.“ (Hirtenbrief an die Katholiken Irlands vom 19. März 2010, Nr. 4)
Introvigne zitiert mehrere Autoren, die auf die in den 1960er Jahren begonnenen Krise eingehen, die auch ein Teil des Klerus ergriff. Insbesondere geht er auf den brasilianischen Autor Plinio Correa de Oliveira ein, der in den Umwälzungen rund um das Jahr 1968 eine IV. Revolution sieht, die der kommunistischen folgte. Folge dieser IV. Revolution war nicht nur eine Beschleunigung der Säkularisation der Gesellschaft, sondern auch des Menschen. Für viele Priester wurden damals Gebet, Ignatianischen Exerzitien, der häufige Empfang des Beichtsakamentes u.a. veraltete und überflüssige Bräuche. Dies schwächte die inneren Widerstände gegen abgrundtiefe moralische Verfehlungen wie der sexuelle Mißbrauch von Kindern.
Introvignes Buch fand große Beachtung in Italien, weil es eine eindrucksvolle, mit reichem Dokumentationsmaterial begründete Verteidigung der katholischen Kirche in einem der größten Angriffe auf sie in den letzten Jahrzehnten darstellt. Es ist zu wünschen, daß dieses Buch auch im deutschsprachigen Raum große Verbreitung findet.
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