Kindliche Entwicklung: Auge um Auge mit dem Smartphone

<p>Christiane Jurczik</p> <p>Ist die kindliche Entwicklung durch die ständige und immer längere Zeit durch Smartphone Nutzung der Eltern gestört? Treten Auffälligkeiten hervor und sind Entwicklungsverzögerungen darauf zurückzuführen? Stören Medien das Miteinander von Eltern und Kleinkindern? Diese Alltagsfragen beantworten jetzt zahlreiche große Studien – teils mit gravierenden Ergebnissen.</p> <p>„Das Phänomen, dass Eltern ihr Handy in der Hand halten, während sie das Baby im Buggy schieben oder auf dem Arm haben, sieht man ständig, sagt Univ. Prof. Karl Heinz Brisch vom Institut für Early Life Care an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg.</p> <p>Weitere Untersuchungen haben Störungen der Bindungsfähigkeit ergeben. Die Folgen sind nach Expertenmeinung gravierend: Beim sogenannten Still-Face-Experiment forderten Forscher beispielsweise die Mutter auf, mit plötzlich versteinertem Gesicht nicht mehr auf ihr Baby zu reagieren. Resultat: Die Babys gerieten in großen Stress und versuchten mit Strampeln, Armwedeln und schließlich Weinen die Zuwendung der Mutter wiederzubekommen. Denn die intensive soziale Interaktion steigert sich, sobald das Baby im Alter von sechs Wochen anfängt, sozial zu lachen. Babys suchen dann den Kontakt und den affektiven Austausch von Gesicht zu Gesicht. Säuglinge könnten resignieren, weil die Lebendigkeit der Mimik fehlt und permanent dem Smartphone zugerichtet ist.</p> <p>Die Bindungsforscherin Agnes von Wyl, erzählt was mit Säuglingen und Kleinkindern passiert, wenn junge Eltern öfter auf den Bildschirm, statt in die Augen ihres Babys gucken. Denn in der Forschung, sagt sie, würden Parallelen zu Kleinkindern mit depressiven Müttern postuliert: Bei häufiger innerer Abwesenheit der Mutter gerät das Baby in Stress.</p> <p>Bei Eltern die ständig auf den Bildschirm sehen, besteht die Gefahr, dass sie oft nicht mehr fähig sind die Bedürfnisse und Signale ihres Kindes wahrzunehmen oder sie richtig zu interpretieren. Die Kinder sind unterversorgt – also nicht mit Nahrung – sondern mit Gefühlen, Aufmerksamkeit, Haut-und Körperkontakt, Mimik, Lächeln, Streicheln und Sprechen. Nur so fühlt sich ein Kind wahrgenommen und geborgen und kann eine Bindung aufbauen.</p> <p>Auch Till Reckert, Kinderarzt und Medienreferent im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sieht das ähnlich. "Die kleinen Kinder erleben etwas, dass sie mutmaßlich nicht verstehen: Die erwachsene Bezugsperson ist körperlich da, seelisch aber nicht“. Ab einem gewissen Alter wehren sich die Kleinen mitunter gegen die digitale Konkurrenz: Um Zuwendung zu bekommen, nörgeln, schmollen, weinen oder brüllen sie.</p> <p>Ebenso Rainer Riedel, Direktor des Instituts für Medizinökonomie und medizinische Versorgungsforschung Köln und Mitverfasser der BLIKK-Studie, sagt: "Säuglinge brauchen die Nähe der Eltern und deren Blickkontakt - das ist unersetzlich, um unter anderem das Urvertrauen mit aufzubauen".</p> <p>Wenn Babys heute subjektiv das Gefühl bekommen, die Handys seien beim Stillen, beim Essen, beim Schlafen gehen, beim Spielen oder kuscheln ständig wichtiger für die Eltern als sie selbst, werden sie innerlich erstarren, nicht satt mit Mitmenschlichkeit werden. Sie werden entweder in die innere Emigration gehen, wie die leeren Blicke der Babys bereits andeuten, oder in die Wut, die Hektik und Unruhe: Der Schmerz der Ignoranz – wird sich seine Bahn brechen, irgendwann, und zur wirklichen Wut ausbrechen. Schade, denn diese kostbare Zeit geht so schnell vorbei.</p>