Erschienen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 31. August 2012
Seit Wochen hält die Diskussion um eine steuerliche Gleichstellung
homosexueller Paare an. Für Joachim Kardinal Meisner ist die Ehe von
zwischen Mann und Frau "die Keimzelle des Staates". domradio.de
dokumentiert seinen Debattenbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine
Zeitung" von Freitag in voller Länge.
"Es gilt als modern, alte Zöpfe abzuschneiden und vermeintlich spießige
Vorstellungen vergangener Zeiten entschlossen anzupassen. Mehr oder
weniger bewusst ist dies auch die verbreitete Haltung in der Diskussion
um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe. Doch
hier ist mehr Nachdenklichkeit sehr angebracht.
Es ist das ureigenste Interesse des Staates, dass es die Ehe
zwischen Frau und Mann gibt, denn aus der Ehe erwächst die Familie, und
sie ist seine Keimzelle und Bestandsgarant. Jeder Mensch und Bürger hat
genau eine Mutter und einen Vater. Deshalb stellt unsere Verfassung die
Ehe zwischen Mann und Frau unter besonderen Schutz, denn die Ehe ist
damit weit mehr als die gegenseitige Übernahme von Verantwortung
füreinander. Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein.
Daraus ergibt sich aber: wenn der Staat nicht mehr die Ehe besonders
als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau fördert und schützt, sondern
gleichgeschlechtliche Partnerschaften ebenso, dann fördert er eigentlich
nur eine Form des sexuellen Zusammenlebens. Dies aber ist etwas völlig
anderes als der Schutz der ehelichen Lebensform als generative
Keimzelle, und der Staat sollte es sich sogar untersagt sein lassen,
hier regelnd einzugreifen: Denn die Kriterien, nach denen seine Bürger
ihr privates Zusammenleben gestalten, gehören rechtlich einzig und
allein in deren persönlichen Entscheidungsbereich.
Letztlich ist die sexuelle Orientierung ja auch nur einer von vielen
möglichen Beweg-gründen, eine Lebensgemeinschaft zu bilden -
wirtschaftliche oder politische Überlegungen sind ebenso denkbar wie
rein pragmatische. Unter Umweltaspekten etwa könnte der Staat dann auch
Fahrgemeinschaften rechtlich der Ehe gleichstellen. Was alle diese
Kriterien möglichen Zusammenlebens von der Ehe fundamental
unterscheidet, ist der generative Aspekt: er ist untrennbar und einzig
mit der Ehe verbunden, weil er ihr innewohnt, selbst wenn er nicht in
jedem Fall realisiert wird. Die sexuelle Orientierung ist ja nur deshalb
konstitutiv für die Ehe, weil sie Voraussetzung für die Weiter-gabe des
Lebens ist.
Nun kann man einwenden: die Fortpflanzung lässt sich auch anders
organisieren als in der Ehe; die Techniken sind vorhanden. Abgesehen von
der Frage, welchen Eigen- und Stellenwert ein Kind dann noch hat: auch
das ändert nichts daran, dass jeder Mensch genau eine Mutter und einen
Vater hat - und er hat überdies ein Menschenrecht darauf zu wissen, wer
seine biologischen Eltern sind. Vater und Mutter sind keine bloßen
Funktionen, sondern fundamentale Existenzweisen des Menschen.
Doch die existenziell bedeutsamen Begriffe "Mutter", "Vater",
"Familie" werden immer häufiger rein funktional definiert, gleichsam
soziotechnisch mit dem Begriff "Verantwortung" oberflächlich besehen neu
gefüllt, doch bei näherem Hinsehen werden sie gleichzeitig ihres
wesensmäßigen Inhalts beraubt. Indem man glaubt, Familie bloß funktional
neu definieren zu können, verdrängt man die leibliche Komponente der
Wesensbegriffe Mutter und Vater. An die Stelle der Leiblichkeit tritt
eine merkwürdige Form der "Leihlichkeit". So wesentlich und auch
anerkennenswert Verantwortung für-einander ist: sie kann die Substanz
der Seinsweisen "Mutter" und "Vater" nie ersetzen. Genau besehen könnte
man sagen: Mitten im selbstverliebten Exhibitionismus unserer
Gesellschaft offenbart sich darin überraschend eine subtile Form neuer
Leibfeindlichkeit. Die natürlichen Gegebenheiten gelten nichts mehr.
Alles ist möglich! Koste es, was es wolle! Und sei es die eigene
Identität! Oder genauer: die der Kinder. Denn die leibliche
Eltern-Kind-Beziehung wie auch umgekehrt die Kind-Eltern-Beziehung ist
konstitutiv für die Identität jedes Menschen. Wer ist meine Mutter, wer
mein leiblicher Vater? Wie wir heute auch wissenschaftlich belegen
können, sind diese Fragen, wie die meisten Kinderfragen, alles andere
als trivial.
Gleich ob also in jeder Ehe die Fortpflanzung realisiert und die
eheliche Partnerschaft damit zur Familie wird: Die Ehe bewahrt in
naturgegebener Weise das Wissen um und die Achtung vor Ursprung und
Weitergabe des Lebens aus Mann und Frau. Als Lebensform und Modell ist
sie deshalb einzigartig, außer Konkurrenz und der Orientierungspunkt,
der aus allen anderen möglichen Formen bloßer Verpartnerung herausragt.
Und noch etwas wird deutlich: wenn eine gleichgeschlechtliche
Partnerschaft nur eine Form des sexuellen Zusammenlebens ist, die Ehe
aber unaufgebbare Keimzelle des Staates, dann behandelt der Gesetzgeber
hier Ungleiches gleich. Das widerspricht ehernen Rechtsgrundsätzen und
kann daher nicht gut gehen. Ich bin deshalb froh, dass es unter den
Politikern namentlich in der CDU auch solche gibt, die dies erkannt
haben und nachdrücklich darauf aufmerksam machen."