Kardinal Gianfranco Ravasi: Idee einer „multikulturellen Gesellschaft“ ist gescheitert
Felizitas Küble, Leiterin des kath. KOMM-MIT-Verlags in MünsterDer Präsident des Päpstlichen Rates für Kultur, Kardinal Gianfranco Ravasi, erklärte jetzt auf dem 35. bischöflichen Fokolar-Treffen in Castel Gandolfo, die Idee einer „multikulturellen Gesellschaft“ sei gescheitert. Stattdessen solle man, so Ravasi, vermehrt den respektvollen Dialog „starker kultureller Identitäten“ fördern. Der Kurienkardinal stellte zugleich in Aussicht, daß der Vatikan demnächst offiziell zu diesem Thema Stellung beziehen wolle.
Ravasi wies darauf hin, daß sich der „Multikulturalismus“ heute vor allem in städtischen Ballungszentren konzentriert, wobei häufig ein „Zusammenprallen“ verschiedener radikaler Migrantengruppen festzustellen sei.
Der Kardinal beobachtete eine „doppelte Krankheit“ in Europa: auf der einen Seite eine aggressive Betonung der eigenen Identität, auf der anderen Seite „Oberflächlichkeit, mangelnde Moral, Vermischung verschiedener Kulturen, Banalität und ein kultureller Nebel, der heute vorherrschend ist“.
Kurz zuvor fand der britische Premierminister David Cameron auf der Münchner Sicherheitskonferenz ebenfalls klare Worte zum Scheitern der multikulturellen Gesellschaft. Ähnlich äußerte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bereits am 16. Oktober 2010, als sie erklärte: „Multikulti ist absolut gescheitert.“
Im Unterschied zu Merkel will der britische Premier jedoch Taten folgen lassen. Inzwischen arbeiten Camerons Nationaler Sicherheitsrat an einer Neufassung von Förderbestimmungen. Diese Kriterien erwähnte der Premier auch in seiner Münchner Rede:
Minderheitengruppen, die staatliche Förderung wünschen, müssen uneingeschränkt die Menschenrechte achten einschließlich der Gleichberechtigung der Geschlechter und religiöser Toleranz; sie müssen an Demokratie und Rechtsstaat gebunden sein und sich als integrationswillig erweisen.
Noch eindeutiger äußerte sich nun Lord Sacks, Oberrabbiner der jüdischen Gemeinschaft in England, am vergangenen Mittwoch in der Zeitung „Times“: „Eine Auflösung nationaler Identitäten macht es Minderheiten unmöglich, sich zu integrieren“, erläuterte er - und bestärkte damit Premier Cameron in seinen Auffassungen.
Zudem stellte Oberrabbi glasklar fest: „Moralische Relativierung ist die eigentliche Totenglocke der Zivilisation“. Lord Sacks Begründung: „Dann gibt es statt moralischer Übereinstimmung einen Zusammenstoß von Ansichten, wobei die lauteste Stimme gewinnt.“
Der britische Oberrabbi schrieb zudem: „Multikulturalismus ist ein Teil der moralischen Relativierung, die ein europäisches Phänomen darstellt.“ - Außerdem unterstützte Lord Sacks den Ruf Camerons nach einer Stärkung des nationalen Gemeinschaftsgefühls: „Eine Auflösung nationaler Identitäten macht es Minderheiten unmöglich, sich zu integrieren, weil es dann nichts gibt, in das man sich integrieren können“, erklärte der Oberrabbi.