Kann man aus christlichem Standpunkt den Vertrag von Lissabon befürworten?
Eine Analyse von Michael Whitcraft und Paul Herzog von OldenburgDer 12. Juni könnte als das Datum in die Geschichte eingehen, an dem Europa offiziell den Glauben verlor.
Das heißt nicht, dass der Kontinent gegenwärtig ein Hort der katholischen Tugend wäre. An jenem Tage jedoch wird Irland darüber abstimmen, ob es die neue Version einer Verfassung der Europäischen Union (EU), die als der Vertrag von Lissabon bezeichnet wird, annimmt oder nicht. Dieses Dokument lehnt es ab, die katholischen Wurzeln Europas anzuerkennen und würde das Ende für alle noch vorhandenen staatlichen Überreste der christlichen Zivilisation mit sich bringen.
Die EU-Behörden sind eifrig darauf bedacht, ihren Plan voranzutreiben. Im Jahre 2005 lehnten Frankreich und die Niederlande eine EU-Verfassung ab, die mindestens zu 90 % mit dem jetzt eingebrachten „Vertrag“ identisch war. Da selbst kleine Kinder es schnell mitbekommen, wenn Eltern versuchen, ihnen dieselben Brüsseler Sprossen auf unterschiedliche Weise schmackhaft machen zu wollen, können die Behörden nicht davon ausgehen, dass sie die Völker Europas mit derselben Verfassung ein drittes Mal gleichsam zwangsernähren können.
Die EU-Richtlinien fordern allerdings immer noch die Einstimmigkeit unter den Mitgliedsstaaten bei der Ratifizierung des Vertrages bzw. der Verfassung. Da allein Irland eine Volksabstimmung vor der Vertragsunterschrift fordert, wird die Ratifizierung der Verfassung durch das Votum der Iren am 12. Juni entschieden werden. Irland wird die Stimme derer sein, die keine Stimme haben.
Der Deutsche Bundestag hat den Vertrag schon ratifiziert, wohlwissend, daß ein Referendum darüber zu gefährlich gewesen wäre, denn höchstwahrscheinlich wäre der Vertrag von den Deutschen abgelehnt worden.
Was ist es aber, das den Vertrag von Lissabon so schlimm macht, und warum ist es so dringend notwendig, dass die Iren ihn scheitern lassen? Die irische Schwesterorganisation der Deutschen Vereinigung für eine Christliche Kultur DVCK e.V., die Irische Vereinigung für eine Christliche Kultur, hat die Antwort auf diese Frage in einem 14-seitigen Dokument dargelegt.
Es trägt den Titel: „Neun Gründe, weshalb ein gewissenhafter katholischer Bürger den Vertrag von Lissabon bei der bevorstehenden Volksabstimmung ablehnen muß.“
Neun Gründe ...
Das Dokument legt kurz und bündig einige der schrecklichen Elemente dar, die in der neuen Verfassung enthalten sind und gibt genügend Gründe an, weshalb jeder praktizierende Katholik am 12. Juni mit Nein stimmen sollte.
Nachfolgend geben wir eine Zusammenfassung der neun Punkte des Dokuments wieder:
1. Verrat an den christlichen Wurzeln Europas
Ähnlich wie die vorherige gescheiterte Verfassung, enthält der Vertrag von Lissabon keinen Gottesbezug und erwähnt die christlichen Wurzeln Europas nicht einmal. In seiner Präambel heißt es: „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben.“
Allerdings weiß sogar ein Grundschüler, dass die europäischen Werte von der katholischen Kirche entwickelt wurden, welche die barbarischen Volksstämme, die Europa bewohnten, grundlegend erneuerte und auf dem Kontinent die christliche Zivilisation schuf.
Diese Auslassung hat weiterreichende Konsequenzen als nur die Leugnung der historischen Wahrheit. In diesem Sinne äußerte sich auch Johannes Paul II. anlässlich des 1200. Jahrestages der Kaiserkrönung Karls des Großen, als er die Charta der Grundrechte erörterte: Die Kirche hat die Entstehung dieses Dokuments mit lebendiger Aufmerksamkeit verfolgt. Ich kann meine Enttäuschung darüber nicht verhehlen, dass man in den Wortlaut der Charta nicht einmal einen Bezug auf Gott eingefügt hat. Doch in Gott liegt der höchste Quell der Würde der menschlichen Person und ihrer grundlegenden Rechte. Man darf nicht vergessen, dass die Ablehnung Gottes und seiner Gebote im vergangenen Jahrhundert zur Tyrannei der Götzen geführt hat.
Der damalige Kardinal Ratzinger bekräftigte diese Ansichten am Tag vor dem Tode Johannes Pauls II.: So ist auch die Ablehnung des Gottesbezugs nicht Ausdruck einer Toleranz ... sondern eher Ausdruck eines Bewusstseins, das Gott endgültig aus dem öffentlichen Leben der Menschheit auslöschen und in den subjektiven Bereich noch bestehender Kulturen der Vergangenheit verdrängt sehen möchte.
Außerdem nahm der polnische Episkopat das Fehlen Gottes im vorherigen Verfassungsentwurf mit „Empörung“ wahr und nannte es eine „Verfälschung der historischen Wahrheit und eine bewusste Marginalisierung des Christentums“.
2. Aufbürdung des Relativismus
In der Präambel der Charta der Grundrechte, dem Dokument, nach welchem der Vertrag von Lissabon die Rechte der Gesellschaft, ihre Freiheiten und Prinzipien definiert, heißt es:
Zu diesem Zweck ist es notwendig, angesichts der Weiterentwicklung der Gesellschaft, des sozialen Fortschritts und der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen den Schutz der Grundrechte zu stärken, indem sie in einer Charta sichtbarer gemacht werden.
Der Vizepräsident des Gremiums, welches die Erarbeitung des Textes der Charta beaufsichtigte, Guy Brabant, erklärte, dass dies den Weg „für ein entwicklungsfähiges und dynamisches Verständnis der Grundrechte“ öffne. Ein Entwurf der Charta enthielt die Formulierung „Inspiration aus seinem religiösen Erbe beziehend“. Herrn Brabant zufolge musste dieser Passus entfernt werden, womit verhindert worden sei, dass das religiöse Erbe Europas „als eine Inspirationsquelle für die Grundrechte“ betrachtet würde.
Abermals hat die Hierarchie der Kirche sich klar gegen das Dokument ausgesprochen. Bischof Dominique Rey von Fréjus-Toulon (Frankreich) sagte:
Diese Charta stellt in mehreren Punkten einen intellektuellen und moralischen Bruch mit den anderen großen internationalen juristischen Formulierungen dar, indem sie eine relativistische und entwicklungsfähige Auffassung der Menschenrechte vertritt, welche die Grundsätze des Naturrechts in Frage stellt.
Die nachfolgenden Worte, entnommen aus einer unlängst gehaltenen Ansprache des Heiligen Vaters, sind in der Tat passend:
Bei nicht wenigen Denkern scheint heute eine positivistische Rechtsauffassung vorzuherrschen. Nach ihnen werden die Menschheit bzw. die Gesellschaft oder de facto die Mehrheit der Bürger die letzte Quelle des Zivilrechts. ... Wenn die fundamentalen Bedürfnisse, ... die Grundrechte des Menschen auf dem Spiel stehen, kann kein von Menschen geschaffenes Gesetz die vom Schöpfer in das Herz des Menschen eingeschriebene Norm umstoßen, ohne dass die Gesellschaft selbst in dramatischer Weise in dem getroffen wird, was ihre unverzichtbare Grundlage darstellt.
3. Begrenzter Schutz für das menschliche Leben
Dieselbe Charta der Grundrechte stellt einfach fest: „Jede Person hat das Recht auf Leben.“ Diese Formulierung ist jedoch, gerade wegen ihrer Einfachheit, unzureichend, um den vielen Angriffen auf das menschliche Leben begegnen zu können, die in der modernen Gesellschaft weit verbreitet sind, wie z. B. Euthanasie, Abtreibung und das Klonen von Menschen.
Der angesehene Professor, Msgr. Michel Schooyans, erklärte hierzu: In seiner aktuellen Formulierung ist dieser Schlüsselartikel einfach inakzeptabel. Abgesehen davon, dass er die Idee des Menschseins und der Persönlichkeit für die absurdesten Interpretationen öffnet, sollte dieser Artikel eigentlich ausführen müssen, dass das Recht auf Leben sich von der Geburt bis zum natürlichen Tod erstreckt.
Eine der jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zeigt, dass diese „absurden Interpretationen“ mehr als bloße Theorie sind. In dieser Entscheidung wurde ausgesagt, dass ungeborene Kinder keine Persönlichkeit besäßen und somit unter der neuen Verfassung in keiner Weise geschützt seien.
Erschreckenderweise wird das Recht auf Leben ungeborenen Kindern verweigert, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Abtreibung als „Gesundheitsvorsorge“ definiert hat, was diese Sünde zu einem Menschenrecht macht!
Außerdem verbietet die Charta das reproduktive Klonen von Menschen, öffnet ihm aber zu therapeutischen oder anderen Zwecken die Tür.
Unter den neuen Verfassungen wären auch kranke und alte Menschen bedroht. Dies wurde von Herrn Brabant deutlich zum Ausdruck gebracht: Um (Euthanasie) auszuschließen, legten mehrere Mitglieder der Konvention Änderungsvorschläge in dem Bestreben vor, klarzustellen, dass „jede Person das Recht auf Leben bis zu seinem natürlichen Ende“ habe. Diese Formulierung wurde nicht beibehalten, weil einige Staaten, wie die Niederlande, auf eine teilweise und fortschreitende Anerkennung „des Rechtes auf einen würdevollen Tod“ zusteuern.
4. Offizielle Anerkennung der Diskriminierung aus Gründen der „sexuellen Ausrichtung“, welche die Rechte der Kirche einschränkt
Im Falle seiner Ratifizierung würde der Vertrag von Lissabon das erste internationale Dokument in der Geschichte werden, das Diskriminierung aufgrund der „sexuellen Ausrichtung“ verbietet. Dies wird in zwei Artikeln der Verfassung festgestellt. Erstens erklärt der neue Artikel 5 b: „Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen zielt die Union darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“
Ähnlich erklärt der neue Artikel 6 a des Vertrages von Amsterdam: „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen ... kann der Rat ... geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“
Die Einbeziehung der so genannten „sexuellen Ausrichtung“ in Diskriminierungsangelegenheiten setzt im Grunde Unterschiede in der Rasse, im Alter und der ethnischen Herkunft mit dem Laster der Homosexualität gleich, eine Behauptung, die einigen Minderheiten wahrscheinlich gar nicht gefallen wird.
Außerdem könnte sie dazu benutzt werden, Homosexuelle in beruflichen Posten und Funktionen unterzubringen, bei denen die Moral und der gesunde Menschenverstand diktieren, dass sie dort keinen Platz haben, wie z. B. im Priestertum, im Sportunterricht, im Schulunterricht und sogar in der Pflege- oder Adoptivelternschaft.
Die Berücksichtigung der Homosexualität als eine Basis für Nichtdiskriminierung stellt auch eine offene Herausforderung gegen die katholische Lehre dar, so wie sie von der Kongregation für die Glaubenslehre zum Ausdruck gebracht wurde. Am 22. Juli 1992 veröffentlichte sie ein Dokument mit dem Titel „Einige Betrachtungen bezüglich der Antwort auf Gesetzesvorschläge zur Nicht-Diskriminierung homosexueller Personen“, in dem es hieß:
In jüngster Zeit sind mancherorts Gesetzesvorschläge eingebracht worden, welche eine Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung illegal machen ...
„Sexuelle Orientierung“ stellt keine Eigenschaft dar, die mit Rasse, ethnischem Hintergrund usw. in Bezug auf Nichtdiskriminierung vergleichbar wäre. Anders als diese, ist homosexuelle Orientierung eine objektive Unordnung (vgl. „Brief“, Nr. 3) und erweckt moralische Besorgnis.
Es gibt Bereiche, in welchen es keine ungerechte Diskriminierung darstellt, die sexuelle Orientierung zu berücksichtigen, beispielsweise bei der Vermittlung von Kindern zur Adoptivelternschaft oder zur Pflegeunterbringung, bei der Beschäftigung von Lehrern oder Sporttrainern und bei der Rekrutierung fürs Militär.
... Unter anderen Rechten haben alle Menschen das Recht auf Arbeit, auf Wohnung usw.
Nichtsdestoweniger sind diese Rechte nicht absolut. Sie können aufgrund von objektiv unordentlichem äußerem Betragen eingeschränkt werden. Dies ist manchmal nicht nur legal, sondern verpflichtend.
Das Dokument brachte auch die Sorge zum Ausdruck, dass die Einbeziehung „homosexueller Ausrichtung“ unter den Erwägungen über die Gründe, aus denen eine Diskriminierung ungesetzlich ist, leicht dazu führen kann, dass Homosexualität als eine positive Quelle der Menschenrechte betrachtet wird, beispielsweise in Bezug auf so genannte aktive Förderungsmaßnahmen oder eine bevorzugte Behandlung bei Vermietungen von Wohnobjekten.
Außerdem wird das Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung die Freiheit der Kirche, das Evangelium und die sittlichen Lehren, die sich daraus ergeben, zu predigen, beschränken, wie der damalige Kardinal Ratzinger kritisch anmerkte:
Der Begriff der Diskriminierung wird immer weiter gefasst, und so kann sich das Diskriminierungsverbot immer mehr in eine Beschränkung der freien Meinungsäußerung und der Religionsfreiheit verwandeln. Bald wird man nicht mehr behaupten dürfen, dass die Homosexualität – wie die katholische Kirche es lehrt – eine objektive Unordnung im menschlichen Leben darstellt.
5. Aufhebung der Unterschiede zwischen Mann und Frau
Der Artikel 23 der Charta der Grundrechte erklärt:
Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen.
Der Vizepräsident Guy Brabant erklärt: Der wirklich wichtige Ausdruck im ersten Paragraphen dieses Artikels ist: „in allen Bereichen.“ Der ursprüngliche Text bezieht sich nur auf die sozialen Bereiche, die am Ende des Paragraphen immer noch vorkommen: Beschäftigung, Arbeit und Arbeitsentgelt. Diese Elemente sind jedoch nur beibehalten worden, um ihre Wichtigkeit hervorzuheben; sie haben keinen begrenzenden Charakter mehr, im Gegensatz zum Vertrag zur Einrichtung der Europäischen Gemeinschaft, von dem der Artikel 141 über die Gleichheit der Geschlechter unter der Überschrift „Sozialpolitik“ eingefügt wurde.
Die Charta geht mit dem Postulat der Gleichheit „in allen Bereichen“ viel weiter. Zweifellos ist dies das erste Mal, dass diese Erklärung in einem internationalen Dokument juristischen Charakters abgegeben wurde.
Die Leugnung der gottgegebenen Unterschiede der Geschlechter „in allen Bereichen“ würde die ordnungsgemäße Funktion der Gesellschaft zerstören. Im religiösen Bereich würde sie beispielsweise das Verbot weiblicher Priester durch die Kirche für gesetzwidrig erklären.
In der Tat verurteilt der vom Ausschuss für die Rechte der Frauen und Chancengleichheit erarbeitete Bericht „Frauen und Fundamentalismus“, der später vom Europaparlament angenommen wurde,
die Führungsgremien religiöser Organisationen sowie die Führer extremistischer politischer Bewegungen, die Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Fanatismus und die Ausgrenzung der Frauen aus leitenden Positionen der politischen und religiösen Hierarchie fördern.
6. Aushöhlung der Konzepte der Ehe und der Familie
Bezüglich der Rechte der Ehe erklärt die Charta:
Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln.
Die Tatsache, dass das Dokument die Ehe nicht als die Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau definiert, würde gleichgeschlechtlichen „Paaren“ die Tür öffnen, welche dieselben Rechte wie verheiratete Paare hätten, einschließlich des Rechts auf Adoption und künstliche Befruchtung. Bischof Dominique Rey argumentiert, dass dies gleichbedeutend mit einer Trennung der Ehe von der Familie sei und symptomatisch für eine Zeit stehe, in welcher sich
allmählich das Recht zum Kind gegenüber dem Recht des Kindes durchsetzt, insbesondere gegenüber dem Recht, geboren zu werden und einen Vater und eine Mutter zu haben.
Der damalige Kardinal Ratzinger zeigte weiterhin, dass diese fehlerhafte Definition der Ehe die Familie aushöhlt, welche die Grundzelle der Gesellschaft selbst ist. Dann sagte er die Konsequenzen einer solchen Aushöhlung voraus:
Europa wäre nicht mehr Europa, wenn diese Grundzelle seines sozialen Aufbaus verschwände oder wesentlich verändert würde. Die Grundrechts-Charta redet vom Recht auf Ehe, spricht aber keinen spezifischen rechtlichen und moralischen Schutz für sie aus und definiert sie auch nicht näher.
Hinsichtlich der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher „Ehen“ vor dem Gesetz ergänzte er:
Mit dieser Tendenz tritt man aus der gesamten moralischen Geschichte der Menschheit heraus, die bei aller Verschiedenheit der Rechtsformen der Ehe doch immer wusste, dass diese ihrem Wesen nach das besondere Miteinander von Mann und Frau ist, das sich auf Kinder und so auf die Familie hin öffnet.
7. Eltern wird das Recht verweigert, ihre Kinder religiös zu unterweisen
Die Charta verweigert Eltern auch ihr Grundrecht, ihre Kinder zu unterrichten. Sie erteilt der EU die Befugnis, anzuordnen, dass Schüler aus säkularer Perspektive unterrichtet werden sollen.
Die Charta stellt fest:
Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.
Der Vizepräsident Guy Brabant erklärt das volle Ausmaß dieses Artikels: Der Ausdruck: „demokratische Grundsätze“, die im Rahmen der Freiheit zur Gründung von Lehranstalten geachtet werden sollten, muss so interpretiert werden ... dass er, wenn nicht den Säkularismus, so doch zumindest die Neutralität der Lehre mit einschließt, welche die Mehrheit der Konvention in der Charta nicht ausdrücklich festschreiben wollte.
Er erklärt weiter: Die Freiheiten, die Eltern durch diesen Artikel gewährt werden, müssen sich mit den Rechten für Kinder harmonisieren lassen, die durch Artikel 24 anerkannt werden, insbesondere ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung, welches „in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt“ werden soll.
Diese Ergänzung der Rechte der Eltern durch die Rechte des Kindes macht die Entwicklung der Ideen und der gesellschaftlichen Sitten deutlich, welche für die Familienbeziehungen im letzten halben Jahrhundert so kennzeichnend war.
Eine solche Vorkehrung könnte die Lehrpläne katholischer Schulen gefährden und die von Gott eingesetzte Familienhierarchie auf den Kopf stellen. Sie würde aufsässigen Halbwüchsigen die Freiheit geben, die Grenzen der in ihren Familien etablierten Ordnung zu überschreiten, was die Chancen stark vermehren würde, dass sie ihre Jugendkriminalität auch in ihrem Leben als Erwachsene nicht ablegen werden.
Dies würde in hohem Grade den Sieg der aufrührerischen Studenten darstellen, die im Jahre 1968 an der Pariser Universität Sorbonne demonstrierten.
8. Zwang zur Annahme ausländischen Rechts
Die Charta würde auch all ihre Mitgliedsstaaten binden, EU-Recht anzunehmen, das in anderen Ländern entstand. Gegenwärtig gehören mehr als 80 % der neuen Gesetze, die den Bürgern Europas auferlegt werden, in diese Kategorie.
Der frühere deutsche Bundespräsident Roman Herzog erklärte, wie sich dies in Deutschland ausgewirkt hat:
Das Bundesjustizministerium hat für die Jahre 1998 bis 2004 die Zahl der Rechtsakte der Bundesrepublik Deutschland und die Zahl der Rechtsakte der Europäischen Union einander gegenübergestellt. Ergebnis: 84 Prozent stammten aus Brüssel, nur 16 Prozent originär aus Berlin. ... Die Zahlen des Bundesjustizministeriums verdeutlichen es: Über den weitaus größten Teil der in Deutschland geltenden Gesetze beschließt im Ministerrat [der EU] die Bundesregierung, nicht der Deutsche Bundestag.
Außerdem ist die Begrenzung des bindenden Charakters der Charta der Grundrechte auf das EU-Recht und die EU-Institutionen unrealistisch, weil
(a) die Prinzipien des Vorrangs und der Einheitlichkeit des Unionsrechts bedeuten, dass Mitgliedsstaaten nicht nur durch die Charta der Grundrechte gebunden sein werden, wenn sie EU-Recht umsetzen, sondern auch durch die „Auslegung und Anwendung ihrer nationalen Gesetze im Einklang mit den Gesetzen der Union“ (vor allem Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in den Leitentscheidungen Factortame, Simmenthal und in anderen Präzedenzfällen); und weil
(b) die Charta Grundrechte in Bereichen postuliert, in welchen die Union gegenwärtig keine Kompetenz hat, z. B. in der Ächtung der Todesstrafe, in der Wahrung der Bürgerrechte in Strafprozessen und in verschiedenen anderen Bereichen.
Dies alles gibt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften einen neuen und erweiterten Zuständigkeitsbereich bei Menschen- und Bürgerrechten und macht diesen Gerichtshof zur höchstrichterlichen Instanz, die entscheidet, welche Rechte die Menschen in dem riesigen Bereich haben, der durch das Europarecht abgedeckt ist.
Folglich würde die Annahme der Charta der Grundrechte als bindendes juristisches Dokument allen EU-Mitgliedsstaaten einheitliche Maßstäbe in höchst empfindlichen Bereichen auferlegen, in denen gegenwärtig erhebliche nationale Unterschiede bestehen.
Angesichts dieser Situation fragt Papst Benedikt XVI. zurecht:
Wie könnten sie [die EU-Behörden] ein so wesentliches Element der europäischen Identität wie das Christentum ausschließen, mit dem sich eine große Mehrheit der Bürger weiterhin identifiziert? ... Führt diese einzigartige Form der „Apostasie“ von sich selbst, noch bevor sie Apostasie von Gott ist, Europa vielleicht nicht dazu, an der eigenen Identität zu zweifeln?
9. Irland muss die Stimme derer werden, die keine Stimme haben
Obwohl der Vertrag von Lissabon als eine neue Verfassung präsentiert wird, enthält er mindestens 90 % der zuvor eingebrachten Verfassung, die von den Bürgern in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. Da die Iren das einzige Volk sein werden, vor dem diese Verfassung zur Abstimmung gebracht wird, haben die Umstände das Land in die historische Position versetzt, die Stimme des gesamten Europa zu sein, dem undemokratischerweise das eigene Stimmrecht versagt worden ist.
Daher obliegt es jedem, die Ablehnung des Vertrages von Lissabon bei der irischen Volksabstimmung, die für den 12. Juni angesetzt ist, entschieden zu unterstützen. Vor allem sind wir Katholiken aufgerufen, für dieses Anliegen zu beten, steht hier doch im tiefsten Grunde der Glaube Europas auf dem Spiel.