Jugendkriminalität in NRW verzeichnet besorgniserregenden Anstieg – insbesondere bei Kindern
Maximilian Klieber
Neue Analysen zur Kinder- und Jugendkriminalität haben Innenminister Herbert Reul (CDU) in Nordrhein-Westfalen aufhorchen lassen. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass 2022 fast jede fünfte aufgeklärte Straftat in NRW von Tatverdächtigen unter 21 Jahren begangen wurde.
Insgesamt ergab sich eine Zunahme von 19 Prozent bei Verdächtigen in dieser Altersgruppe im Vergleich zum Vorjahr. Besonders alarmierend ist der Anstieg der Kriminalität bei Kindern unter 14 Jahren: Im letzten Jahr gab es etwa 20.950 Tatverdächtige in dieser Altersgruppe, verglichen mit rund 14.850 im Jahr zuvor - ein Anstieg von über 41 Prozent, wie Reul betonte. "Ich glaube, das Problem ist nicht vom Himmel gefallen, es muss dafür Ursachen geben", sagte der Innenminister besorgt. Die Statistik kann nur teilweise durch den pandemiebedingten Rückgang der Zahlen im Jahr 2021 erklärt werden. Im Jahr 2022 stieg die Gesamtzahl der Straftaten über das Niveau des Jahres 2019, bevor die COVID-19-Pandemie ausbrach, und insbesondere Kinder und Jugendliche waren von diesem Anstieg betroffen.
Zum Beispiel gerieten 2019 noch weniger als 16.700 Kinder unter Tatverdacht. Besonders auffällig ist der Anstieg der Kriminalität im Internet. Hier waren 2022 über 30 Prozent mehr Kinder, Jugendliche und Heranwachsende als im Vorjahr unter den Verdächtigen. Bei Verbreitung, Erwerb oder Besitz von Kinderpornografie gab es einen schockierenden Anstieg um fast 49 Prozent. Die Gesamtzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren belief sich im Jahr 2022 auf rund 102.600. Darunter waren fast 21.000 Kinder, etwa 45.000 Jugendliche und beinahe 37.000 Heranwachsende. Geschlecht spielt ebenfalls eine Rolle in dieser Entwicklung, da fast 72 Prozent aller Tatverdächtigen unter 21 Jahren Jungen und junge Männer waren.
Es gab auch einen alarmierenden Anstieg von 153 Prozent bei Straftaten im „schulischen Kontext“, was als ein Phänomen der Pandemiejahre angesehen wird, da der Schulunterricht 2021 stark eingeschränkt war. Auch im realen Leben ist eine Verschlechterung der Situation spürbar, wie Michael Mertens, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, betont. Er erklärt, dass Körperverletzungen, Diebstahl und Raubüberfälle auf der Straße immer häufiger von jungen Menschen begangen werden. Dies deutet auf eine Verrohung der Gesellschaft hin, die auch die Jugend betrifft. Selbst der Respekt gegenüber Polizeibeamten in Uniform hat in den letzten Jahren abgenommen, bemerkt Mertens besorgt.
Es sollte jedoch beachtet werden, dass die steigenden Zahlen auch auf positive Entwicklungen in der Statistik zurückzuführen sein können. Die verstärkte Bekämpfung von Kinderpornografie hat zu mehr Ermittlungen geführt, was wiederum zu einer höheren Anzahl von aufgedeckten Straftaten geführt hat. Darüber hinaus gibt es heute ein stärkeres Bewusstsein auf Seiten der Opfer in Bezug auf alle Formen der Kriminalität, was zu einer erhöhten Anzeigebereitschaft führt. Dies ist zweifellos ein positiver Aspekt in der Bekämpfung von Kriminalität. Die überwiegende Mehrheit der jungen Tatverdächtigen war deutscher Herkunft, mit einem Anteil von gut 71 Prozent. Der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger stieg jedoch um fast ein Drittel gegenüber dem Vorjahr auf knapp 29 Prozent. Der Kinderschutzbund mahnt zur differenzierten Betrachtung dieses Anstiegs. Neben der gestiegenen Zuwanderung junger Menschen in die Gesellschaft haben viele von ihnen mit schwierigen Lebenssituationen zu kämpfen.
Gaby Flösser, die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes, betont die Notwendigkeit, diese jungen Menschen aus Gemeinschaftsunterkünften zu holen, Bildungsmöglichkeiten anzubieten, Integration zu fördern und jungen Erwachsenen Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. In Bezug auf die Frage, ob das Alter der Strafmündigkeit gesenkt werden sollte, zeigt sich Innenminister Herbert Reul zwiegespalten. Er denkt zunehmend darüber nach, da Kinder heutzutage mit 14 Jahren in einem anderen Entwicklungsstadium sind als früher. Dennoch glaubt er, dass das Problem der Jugendkriminalität nicht nur ein polizeiliches oder rechtliches Thema ist, sondern die gesamte Gesellschaft betrifft. Kindergärten, Schulen, Eltern und Medienpolitik sollten mehr tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Der Kinderschutzbund in NRW hingegen lehnt eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters ab. Sie argumentieren, dass Kinder nicht als ausreichend entwickelt angesehen werden sollten, um Recht und Unrecht sowie deren Konsequenzen richtig einzuschätzen, da sie in vielen Lebensbereichen noch eingeschränkt sind. Stattdessen setzen sie auf Prävention, indem sie Kindern beibringen, Konflikte ohne körperliche Gewalt zu lösen und Medienkompetenz zu vermitteln. Angesichts des steigenden Schulbesuchs betonen sie die Notwendigkeit entsprechender Angebote im offenen Ganztag, um diesen Ansatz erfolgreich umzusetzen.
Die Straftaten, die von den unter 21-Jährigen begangen wurden, verteilten sich im vergangenen Jahr wie folgt: 26 Prozent waren Diebstähle, etwa 17 Prozent Körperverletzungen, rund 10 Prozent Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, etwa 7 Prozent betrafen Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, und Sachbeschädigungen machten rund 6 Prozent aus.