GNTM: Heidis nackte Magermädchen

Christiane Jurczik

Nach einigen Staffeln „Germany's Next Topmodelglaubt man ja schon wirklich alles gesehen zu haben und durch nichts mehr erschüttern werden kann. Denkt man. Doch das, was einem nach 60 Minuten der diesjährigen Auftaktfolge von „GNTM“ präsentiert wurde, hatte nicht mehr viel mit Unterhaltung zu tun. Ja, die Modelanwärterinnen laufen wieder aber eben auch halb nackt.

Bei der Castingshow schickte Heidi Klum ihre Models fast nackt auf den Laufsteg. Das Familienministerium übt daran Kritik und spricht von Sexismus. Eine Sprecherin sagte: "Sexismusist nichts, das wir einfach tolerieren oder ignorieren können. Gemeinsam müssen wir Sexismus ganz klar als das bezeichnen, was er ist: nämlich eine Form von Gewalt."

Bei dem Gang über den Laufsteg trugen die Frauen nur hautfarbene Slips und hohe Schuhe, die Brustwarzen waren abgeklebt. Vor dem Loslaufen wurden sie mit Schaum bedeckt. Model Heidi Klum sagte in der Sendung: „Möcht ja gern mal wissen, wer sich da schämt. Weil als Model darf man sich ja nicht schämen, man muss sich ja eigentlich immer gut fühlen in seiner Haut.“

Es hatte in den bisherigen Staffeln immer wieder Nackt-Shootings gegeben, nackt über den Laufsteg wurden die Kandidaten, teils erst 19 Jahre alt, noch nie geschickt. Es drängt sich die Frage auf, ob es sich da nicht primär um Quotenfang handelt?

„Germany`s Next Topmodel“ ist bereits mehrfach wegen Sexismusvorwürfen in die Kritik geraten. 2018 etwa protestierten im Netz zahlreiche junge Frauen mit dem Schlagwort #NotHeidisGirl gegen die Sendung. Experten sagten damals, die Kritik an der Show habe eine neue Stufe erreicht. Grund dafür seien auch der Hashtag #MeToo und die dadurch ausgelösten Debatten.

In diesem Jahr wird es sogar noch krasser. Die Kandidatinnen müssen nicht nur geradeaus laufen, sondern auch eine Treppe überwinden. Das löst bei allen in etwa so viel Panik aus wie Windstärke zehn bei Donald Trumps Haupthaar. Natürlich stolpern einige Mädchen mehr über den Runway, als dass sie laufen - Mission erfüllt!

Der Designer Manfred Thierry Mugler, der dank zahlreicher Stunden beim Beauty-Doc und in der Muckibude aussieht wie Super-Mario-Bösewicht Wario. Falls Sie Wario nicht kennen, googeln Sie ihn. Sie werden es nicht bereuen! Manfred, der sich als „Träumemacher“ sieht, präsentiert sich die folgende Stunde eher als Hauptdarsteller in einem Albtraum. Zwei Minuten auf der Bühne und schon rät er den Kandidatinnen, die das Training in schwarzen Bademänteln absolvieren, doch mal etwas mehr zu zeigen.

Und während man sich noch fragt, ob man sich über das Rascheln der Chipstüte verhört hat, lässt schon die erste Anwärterin ihren Bademantel fallen, um nur in einem hautfarbenen Slip vor dem 72-Jährigen zu walken. Ihre Brust bedeckt sie notdürftig mit ihren Händen. So starten sie also, die „Model“-Karrieren der Mädchen. „Sehr sympathisch“, findet Manfred. „Ich liebe Mädchen, die sich was trauen“, lacht Heidi.

Eins ist klar: Wer an einem TV-Format wie „Germany’s Next Topmodel“ teilnimmt, muss so einiges aushalten. Heidi Klums ausgeprägtes Lachorgan, die Musik von Tokio Hotel oder sprechende Murmeltiere. Wenn aber junge Frauen, die auf eine Karriere als Model hoffen, von einem scheinbaren „Stardesigner“ gesagt bekommen, sie sollen sich doch bitte nicht so anstellen und ein bisschen mehr Haut zeigen, um von ihm gelobt zu werden, steckt dahinter ein weitaus größeres Problem.

Damit steht die erste Folge von „Germany’s Next Topmodel“ exemplarisch für das immer noch streng hierarchische Machtkonstrukt der Modewelt. Gerade erst wurde dem bekannten Designer Alexander Wang vorgeworfen, mehrere Männer und Transfrauen sexuell belästigt zu haben. Die Fälle liegen zum Teil mehrere Jahre zurück, erst jetzt meldeten sich die Betroffenen zu Wort. Sie zeigen, dass es in der Modewelt noch immer viel zu einfach ist, seine Macht und Position als Fotograf oder Designer zu missbrauchen und damit durchzukommen. Das Schweigen der Models, die weiterhin für Jobs gebucht werden und ihre Karriere nicht gefährden wollen, schützt die Täter.

Nur noch blanker Hohn

"Angesichts monatelanger Sexismus- und Gleichstellungsdebatten wirkt das Zurschau- und gleichermaßen Bloßstellen junger Mädchen nur noch wie blanker Hohn", schreibt eine Autorin des Branchendienstes "Meedia". Zwar habe es schon immer Kritik an dem Format gegeben. "Doch in diesem Jahr fühlt es sich noch mal anders an, noch falscher und vor allem: zynischer."

Die Casting-Show kommt tatsächlich nur mäßig an. Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, findet die Mehrheit der Deutschen, dass das Format ein falsches Schönheitsideal vermittelt. Auch die Quoten waren zuletzt eher mau.

"Die Kritik an "Germany's next Topmodel" hat sich geändert, weg von der Magersuchtsdebatte hin zu einem sehr viel größeren Thema: Was ist eigentlich Weiblichkeit?", sagt Medienwissenschaftlerin Miriam Stehling von der Uni Tübingen. Es gehe in der Debatte auch um die Unterwerfung von Frauen - bei GNTM etwa vor den Vorgaben der Jury und dem Schönheitsideal. "Das passt zusammen mit neuen feministischen Bewegungen wie #MeToo. Es geht nicht um einen Schlankheitswahn, sondern darum: Was für ein Frauenbild transportieren wir eigentlich?"

Foto: Von Toglenn - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79149713