Gespräch mit SOS-LEBEN-Leiter Benno Hofschulte: Ich bin wie schon lange nicht mehr so optimistisch
Benno Hofschulte |
Mathias von Gersdorff: Sind Sie glücklich über den Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD?
Benno Hofschulte: Angesichts der Tatsache, dass von nun an die SPD bereit ist, mit der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ auf Bundesebene zu koalieren, wird man vielleicht in einigen Jahren diesen Koalitionsvertrag aus der Perspektive des Lebensrechts für gut halten, weil keine Erleichterung und keine großzügige finanzielle Förderung der Abtreibung enthalten sind. Aus gegenwärtiger Perspektive ist das Papier natürlich jämmerlich.
MvG: Was hätte man denn erwarten können?
BH: Sehen Sie: Schon die Tatsache, dass kaum jemand Verbesserungen hinsichtlich des Lebensrechts in den Koalitionsverhandlungen erwartet hat, zeigt, was für eine Meinung über unsere Politiker in der Öffentlichkeit herrscht. Man fragt sich, in welcher seelischen und geistigen Verfassung sich viele unserer Politiker befinden. Sie scheinen panische Angst vor den Reaktionen der Abtreibungsbefürworter zu haben. Diese Panik, diese Phobie, scheint sie in eine Starre zu versetzen hinsichtlich des § 218.
MvG: Was ist also zu tun?
BH: Zuallererst darf man sich als Lebensrechtler nicht entmutigen lassen. Insbesondere darf man nicht glauben, das Thema würde niemand interessieren. Gegenwärtig haben wir die Situation, dass die Abtreibungslobby das Thema Abtreibung in der Öffentlichkeit am liebsten abwürgen würde. Wir als Lebensrechtler müssen dafür sorgen, dass das nicht geschieht, was nicht besonders einfach ist, denn von den großen Medien kommt kaum Unterstützung. Dafür müssen wir unsere eigenen Medien schaffen, um das Thema an das große Publikum heranzutragen. Aus diesem Grund organisieren wir seit Jahren Massenbriefaussendungen. In den letzten Jahren wurde das Internet für die Öffentlichkeitsarbeit immer wichtiger.
MvG: Welche Möglichkeiten sehen Sie, Einfluss auf die Politik zu nehmen?
BH: Es gibt eine ganze Reihe von Abgeordneten, die durchaus eine Verbesserung des Lebensrechts der ungeborenen Kinder anstreben. Sie werden sich aber schwer durchsetzen können, wenn von der Basis der Gesellschaft keine Impulse kommen. Deshalb ist es so wichtig, immer „am Ball“ zu bleiben und auf die grausame Situation, in der wir leben, aufmerksam zu machen: In Deutschland werden laut offizieller Statistik etwa 120.000 Kinder jährlich getötet.
An dieser Stelle lohnt es sich anzumerken, dass am Ende der Großen Koalition, die von 2005 bis 2009 regiert hat, der Versuch unternommen wurde, die Spätabtreibungen zu reduzieren. Schließlich wurde ein extrem schwacher Gesetzesentwurf vom Bundestag angenommen, der kaum das Recht auf Leben der ungeborenen Kinder besser geschützt hat. Dennoch zeigte die vorangehende Debatte, wie stark das Thema die Gemüter bewegt. Merkwürdig dabei ist, dass die Impulse für das Gesetz vor allem von der SPD und nicht von der Union kamen.
MvG: Damals hat sich Andrea Nahles für eine – geringfügige - Verbesserung eingesetzt. Was ist jetzt zu erwarten?
BH: Der jetzige Koalitionsvertrag widmet den Menschen mit Behinderungen tatsächlich relativ viel Raum. Unter anderem ist folgender Satz enthalten: „In allen Bereichen des Lebens sollen Menschen mit Behinderungen selbstverständlich dazugehören und zwar von Anfang an.“ „Von Anfang an“ bedeutet eigentlich, von der Zeugung an. So gesehen ist es sehr enttäuschend, dass man keine Silbe über die Tatsache verliert, dass die Menschen mit Behinderungen die einzigen sind, die noch unmittelbar vor der Geburt abgetrieben werden. Das geschieht zwar rein juristisch gesehen nicht aufgrund der Behinderung des Kindes, aber in der Praxis ist das sehr wohl so. Man schätzt, dass beispielsweise etwa 95 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom im Mutterleib getötet werden. Allerdings ist das öffentliche Bewusstsein für diese grausame Situation sehr stark in den letzten Jahren gewachsen, wozu auch der „Down Syndrom Tag“ beigetragen hat. Ich bin optimistisch, dass sich hier etwas machen lässt.
MvG: Was sind Ihre Perspektiven für das Jahr 2014?
BH: Ich bin wie schon lange nicht mehr sehr positiv eingestellt, denn ein Umdenken hinsichtlich des Lebensrechts ist deutlich feststellbar. Die Ergebnisse des Europäischen Bürgerbegehrens „One-uf-Us“, an welchem wir teilgenommen haben, waren einfach kolossal. Ebenfalls ein großer Erfolg war vor kurzem die Ablehnung des ominösen „Estrela-Berichts“ im Europäischen Parlament. Der Einsatz vieler Lebensrechtsbewegungen mit Demonstrationen in Straßburg und Aufforderungen an die Bürger die Parlamentarier per E-Mail-Briefe zur Ablehnung dieses Berichts zu bewegen, stieß auf große Resonanz. Auch unsere eigenen Aktionen laufen sehr gut. Wir sind sehr zufrieden mit der Resonanz unserer Petition, die die Einführung eines Gedenktages für die ungeborenen Kinder fordert. Auch unsere Internetaktivitäten entwickeln sich sehr gut, vor allem dank des Engagements jüngerer Menschen. Falls diese Entwicklung nachhaltig ist, wird sich das in der Politik bemerkbar machen.
Aber man darf keine Wunder erwarten. Von nichts kommt nichts. Nur durch harte Arbeit wird man in der Lage sein, die Abtreibung in Deutschland zu stoppen. Diese Arbeit müssen wir – die Lebensrechtler - leisten, denn nur durch den Druck der Basis ändert sich auch die Politik.