Gerold Becker ist tot - doch die linke Reformpädagogik lebt weiter
Felizitas Küble, Leiterin des KOMM-MIT-Jugend-Verlags und des Christoferuswerks in MünsterGerold Becker, jahrzehntelanger Leiter der in Verruf gekommenen „Odenwald-Schule“, ist am 8. Juli 2010 im Alter von 73 Jahren verstorben. Von den 50 Schülern des südhessischen Internats, die durch sexuelle Übergriffe betroffen sein sollen - davon die meisten Knaben - wurden 17 Jungen dem Ex-Leiter zur Last gelegt. Vier ehemalige Schüler, die mißbraucht wurden, haben Selbstmord begangen.
In einem Schreiben an die Schulleitung hatte Becker sich im März 2010 zu sexuellen Übergriffen bekannt, die strafrechtlich freilich verjährt sind. Becker, von 1972 bis 1985 Chef der Odenwaldschule, schrieb in seinem Brief, daß er die Taten „zutiefst bedauert“ und die Opfer um Entschuldigung bitte. Obwohl damit die Sachlage geklärt war, weigert sich die Odenwaldschule bislang eisern, den Mißbrauchsopfern eine Entschädigung zu bezahlen, obgleich sie über weite Ländereien verfügt.
Allerdings sollte man den ehem. Leiter der „reformpädagogischen“ Landschule, die ein Vorzeigeprojekt der UNESCO war und ist, nicht zum alleinigen Sündenbock der Causa Odenwaldschule abstempeln. Zum einen gibt es weitere acht beschuldigte Lehrer, zum anderen muß auch den ideologischen Hintergründen nachgegangen werden, gewissermaßen das „System“ hinter der Person erkannt werden.
Zudem stellt sich die Frage nach dem selektiven Interesse der meisten Medien an Mißbrauchsfällen. Während die katholische Kirche einen zum Teil hysterischen Empörungs-Tsunami erlebte, sind eine Reihe von Mißbrauchsfällen der Odenwald-Schule seit 1999 bekannt - immerhin veröffentlicht durch die linksgestrickte „Frankfurter Rundschau“.
Was folgte, war Schweigen im Pressewalde. Die FR-Veröffentlichungen verhallten damals ungehört, die Vertuschungsmethode war in Medien und Öffentlichkeit an der Tagesordnung, auch und gerade im linken Spektrum. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zwar, stellte die Verfahren aber wegen Verjährung ein. Inzwischen wird gegen einige Lehrer ermittelt, da es jüngere Vorkommnisse geben könnte.
Nach Bekanntenwerden der ersten Anschuldigungen Ende der 90er Jahre zog sich Gerold Becker aus dem Trägerverein zurück. Doch er hielt munter weiter Vorträge und schrieb Artikel; er galt als „Vorzeige-Pädagoge“ mit einem reformorientierten, „ganzheitlichen“ Bildungsmodell, die Odenwaldschule als Aushängeschild dieser Bewegung.
Beckers „Lebensgefährte“ war Hartmut von Hentig, noch mehr als er selber ein „Guru“ der Reformpädagogik, der ihn bis zuletzt verteidigte und die Vorwürfe gegen Becker zurückwies, auch in einem Interview mit dem „Spiegel“ - bis Becker die Anschuldigungen dann selber bestätigte. Die beiden älteren Herren lebten in einer gemeinsamen Wohnung in Berlin.
Hartmut von Hentig war - wie die neueste „Emma“ (Nr. 3/2010) in einem kritischen Beitrag von Tanjev Schultz berichtet - „Deutschlands berühmtester Pädagoge, Vorbild und Idol für Generationen von Lehrern.“ - Weiter heißt es über ihn: „Er hat sich eingemischt in die Politik, war aktiv in der Friedensbewegung, hat Willy Brand beraten, Freundschaften gepflegt mit den Weizsäckers, mit Golo Mann und vielen anderen Dichtern und Denkern.“
Noch Ende Januar 2010 hielt der Vorzeigepädagoge Hentig im Stuttgarter Schloß eine Rede üper das „Ethos der Erziehung“, wobei er - wie so oft – den sogenannten „pädagogischen Eros“ erwähnte, jenen „Gott“, den Platon in die Erziehung eingeführt habe. Schon ein Monat später war sein Lebensgefährte Gerold Becker als Mißbrauchs-Täter in aller Munde.
Die Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim feierte Anfang Juli 2010 in einem Festakt ihr 100-jähriges Bestehen. Auch die beschuldigten Lehrer wurden eingeladen, doch keiner war gekommen - wenig erstaunlich: Was einst als „Hort“ der liberalen Reformpädagogik glorifiziert wurde, war mittlerweile eher als „Hort der Pädosexuellen“ in Verruf geraten.
Gegründet wurde das Internat, das derzeit ca. 200 Schüler beherbergt, von Paul Geheeb als Reformprojekt, das sich ausdrücklich in die Tradition der griechischen Antike stellte und das „Lernen in Gemeinschaft“ betonte. Als Leitwort galt der Satz des griechischen Philosophen Pindar: „Werde, der Du bist.“
Der Frankfurter Psychologe Walter Schwertl erklärte in einem Gutachten, der sexuelle Mißbrauch an der Odenwaldschule sei im Grunde system-immanent gewesen, kein „Abfall“ vom eigenen Ethos also, sondern eher Ausdruck des eigenen „Kulturprogramms“. So habe es am Internat z.B. auch Veranstaltungen zur Würdigung des antiken Griechenland und seiner „Knabenliebe“ gegeben.
Bereits seit 1963 gehört das Internat als UNESCO-Projektschule zu einem weltweiten Schulnetzwerk der UNO, das sich dem sog. „interkulturellen Lernen“ und der „internationalen Verständigung“ verpflichtet fühlt. Die ländlich gelegene Odenwaldschule ist als Gesamtschule aufgebaut. Das Schulgeld für die Internatsschüler kostet monatlich 2000 €.