Gender-Lehrplan und Hessischer Landtag: Opposition? Nein danke!
Hessischer Landtag. Foto: Hessischer Landtag, Kanzlei |
Unmittelbar nachdem der hessische Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer den neuen "Lehrplan zur Sexualerziehung" im "Wetzlar Kurier" am 3. November 2016 kritisiert hatte, bellten Vertreter aus allen Fraktionen zurück: Das sei lediglich eine Privatmeinung!
Am ehesten moderat waren noch die Grünen. „Was er inhaltlich erklärt, entspricht nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ignoriert die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichwertigkeit von Ehe und eingetragener Partnerschaft und stößt auf unsere entschiedene Ablehnung“, so Fraktionssprecher Volker Schmidt. Verkehrte Welt: Mit Verve verteidigte der Grüne den CDU-Kultusminister, eigentlich ein Parteikollege Irmers. Die Kritik am Lehrplan im "Wetzlar Kurier" sei „eine falsche, unverschämte und ehrenrührige Unterstellung“.
Die SPD fordert sogar, das müsse schleunigst entschiedene Konsequenzen haben. Der bildungspolitischen Sprecher der Fraktion, Christoph Degen, entgegnete: „Wenn Herr Irmer den neuen Lehrplan Sexualerziehung indirekt als verfassungswidrig bezeichnet, dann ist die CDU-Führung gefordert, in den eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen.“ Ohne es offen zu auszusprechen, legt er damit der CDU nahe, ihren Abgeordneten Hans-Jürgen Irmer empfindlich zu bestrafen.
Vor allem die CDU-Fraktion wollte unbedingt den Eindruck vermeiden, dass es unter den Landtagsabgeordneten aus den eigenen Reihen einen Widerstand gegen den Gender-Lehrplan von CDU-Kultusminister Ralph Alexander Lorz geben könnte. „Es ist nicht neu, dass Herr Irmer im 'Wetzlar Kurier' seine Privatmeinung äußert. Diese deckt sich in dieser Form aber nicht mit der Meinung der CDU-Landtagsfraktion, wie aus unseren Verlautbarungen der vergangenen Wochen zu entnehmen ist", heißt es in einer Stellungnahme aus Wiesbaden, die der „Hessische Rundfunk“ am 4. November verbreitete.
Michael Boddenberg, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag, scheint alles daranzusetzen, die Debatte um den Sexualkunde-Lehrplan nicht hochkochen zu lassen. Denn das könnte die CDU-Basis dazu verleiten, Widerstand zu leisten, wie aus CDU-Kreisen zu hören ist. Dementsprechend panisch reagiert Boddenberg.
CDU und Grüne haben bei der Landtagswahl 2013 insgesamt 49,4 Prozent der Stimmen erhalten. Falls die Kritik am Lehrplan anhält, ist es gut möglich, dass beiden Parteien zusammen keine Landesregierung mehr bilden könnten.
Aufgrund der hohen Bedeutung der Schulbildung in der Landespolitik war es aber von Seiten der Parteistrategen ziemlich naiv anzunehmen, dass die Einführung eines dermaßen radikalen Lehrplanes keine Stimmen kosten könnte. Da die ungeliebte Debatte inzwischen doch Realität geworden ist, tut man nun alles, um sie nur irgendmöglich zu ersticken oder zumindest zu kanalisieren.
Aus CDU-Kreisen ist zu vernehmen, der Gender-Lehrplan sei ein Zugeständnis der CDU an die Grünen, um sich deren Zustimmung für den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu sichern.
Der Flughafenausbau ist in Hessen und vor allem im Rhein-Main-Gebiet ein heißes Thema, der viele zur Weißglut bringt. Bei der letzten Frankfurter Oberbürgermeisterwahl kostete es dem CDU-Kandidaten Boris Rhein, der anfangs als sicherer Gewinner in den Wahlkampf zog, den Sieg. Neuer Oberbürgermeister wurde der bis dahin völlig unbekannte Peter Feldmann von der SPD.
In Oktober dieses Jahres begannen auch die Proteste gegen den Flughafenausbau. Nun könnte es so kommen, dass bis zur nächsten Landtagswahl in knapp zwei Jahren Lehrplan-Gegner und Gegner eines Flughafenausbaus eine mächtige öffentliche Phalanx bilden, die die Popularität von Schwarz-Grün zu dezimieren droht. Die schwarz-grüne Koalition in Hessen, die immer wieder als Modell für die Bundesebene gehandelt wird, wäre Geschichte.
Angesichts dieser Konstellation fällt den Parteistrategen von CDU und Grünen nichts Besseres ein, als jegliche parlamentarische Opposition gegen der Sexualkunde-Lehrplan auszubremsen. Man tut gerade so, als ob das Papier von Kultusminister Lorz „alternativlos“ sei.
Dabei dürfte man gerade von Schulpolitikern mehr Lernbereitschaft und auch die Fähigkeit erwarten, vergangene Fehler nicht zu wiederholen.