Ganztagsschule versus Elternwille


Almut Rosebrock

Ganztagsschule ist das Zauberwort für die derzeitige Politik. Sie wird (auch von einzelnen Wissenschaftlern) als die Lösung für alle möglichen Probleme angesehen. In der Ganztagsschule sind die Kinder jeden Tag verpflichtend meist bis mindestens 16 Uhr in der Schule. Das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen hat momentan die "Offene Ganztagsschule", in der Eltern wählen können zwischen Ganztagsaufenthalt, dem Regelunterricht oder einem eventuell noch vom Schulträger angebotenen anderen Betreuungsangebot. Das im Sommer 2007 in NRW in Kraft getretene Schulgesetz überläßt die Aufgabe der Entscheidung, welche Angebote gemacht werden, den Schulträgern vor Ort, also Städten und Kommunen. Das Angebot soll "bedarfsgerecht" sein - und es wird argumentiert, die Schulträger würden die Verhältnisse und den Bedarf vor Ort besser kennen. Ein Ziel der Politik ist, dadurch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern – und die Politik setzt deshalb auf eine allmähliche Ausweitung in Richtung allgemeiner Ganztagsbeschulung. Allmählich nur deshalb, da diese nicht per Gesetz verpflichtend gemacht werden kann, da dies mit Vorgaben des deutschen Bundesverfassungsgerichtes kollidiert.

Viele Mütter (bzw. die Haupterziehenden) arbeiten jedoch bewußt halbtags, um ab dem Mittag für ihre Kinder da zu sein, das Mittagessen gemeinsam mit ihnen einzunehmen (eine wichtige Kommunikationsplattform, vor allem auch bei mehreren Kindern).
Diese sehr bewährte Lebensform, die recht viel Zeit für Kommunikation und familiäres Zusammensein bietet, ist mit den sich zunehmend verbreitenden und durch den Bund (der hier eigentlich keine Kompetenz hat) geförderten Ganztagsschulzeiten nicht vereinbar.

Ganz praktisch stellt sich folgendes Problem: Im 1. und 2. Schuljahr haben die Kinder etwa 20 Schulstunden, die per Stundenplan unregelmäßig über die 5 Wochentage verteilt sind. Der dadurch entstehende freie Zeitraum ist für die haupterziehende Person nicht ausreichend, um an eine Berufstätigkeit zu denken. Zudem werden die Stundenpläne erst am 1. Schultag des Schuljahres mitgeteilt und können ohne weiteres wechseln - es gibt keinerlei Planungssicherheit. Um dem zu begegnen, wurde in zahlreichen Schulen - von Eltern initiiert - eine Betreuung eingerichtet: bis zur 6. Stunde verbindlich mit Hausaufgaben, teilweise auch bis 14 Uhr, und bei Bedarf auch wahlweise bis nachmittags. Alle diese Betreuungsformen wurden bisher gleichberechtigt auf recht geringer Basis vom Land gefördert. Hier bei uns vor Ort bekam so - zum Beispiel - jede Familie die benötigte Betreuungszeit: das Angebot war auch flexibel nur für einzelne Nachmittage möglich.

Die meisten Eltern wollen ihre Kinder nur in den Zeiten, in denen sie sie wirklich brauchen, von anderen Personen in der Gruppe betreuen lassen. Die Ganztagsschul-Verfechter beharren jedoch darauf, daß es nötig sei, jedes Kind jeden Tag gleich zu halten – und: nur dann gibt es auch die steuerfinanzierten staatlichen Zuschüsse! Maximale Starrheit, eben dieses schulische Angebot, ist das Einzige, was vom Land noch gefördert wird.
Der Bund (Bundesforschungsministerium) fördert die Ganztagsbeschulung per zweckgebundenen Bauzuschüssen; 90 % der von den Schulen beantragten Bauten werden gefördert. Das Land fördert Ganztagskinder mit Zuschüssen pro Kopf, circa 880 Euro pro Kind und Jahr.
Für "alternative Betreuungsangebote" gibt es auf Antrag vom Land lediglich eine Pauschale von 5.500 Euro pro Schule, die der Schulträger frei einsetzen kann: Für Halbtagsbetreuung, Ferienbetreuung, Mittagessen, was auch immer. Was keine Fördermittel erhält, wird nicht mehr angeboten - irgendwie muß der Laden ja laufen. So wird über das Geld, welches dem Bürger abgeknöpft wird, dem Bürger angeboten, was allein der Politik gefällt.

Bei uns vor Ort wird das Geld für die Ferienbetreuung eingesetzt, wie die Ratsmitglieder entschieden haben. Ob dies bedarfsgerecht ist, muß bezweifelt werden: Die Mittagsbetreuung war sehr gut frequentiert und wurde gut angenommen, ein ausgesprochen nützliches, kostengünstiges und familienfreundliches Instrument, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen, auch für die, die bei Familie und Beruf halbe-halbe machen. Warum man dies nicht beibehält? Die Gemeinde hat jedoch in ihren Schulen für 2 bzw. 3 Gruppen Anbauten finanziert bekommen - die Gruppen müssen voll werden, sonst droht die Rückzahlung der Zuschüsse. So gibt es hier jetzt nur noch den "Ganztag" für Grundschulkinder, ab 5-6 Jahren, oder Regelunterricht.

Unsere Befragung in Kindergärten (in den kommunalen Kindergärten wurde sie vom Bürgermeister nicht zugelassen) ergab bei 120 (von ca. 380 Familien) zurückgegebenen Fragebögen, daß 58 eindeutig die Betreuung bis zur 6. Stunde präferieren, ca. 30 die Zeit bis nachmittags, 6 Bögen bis 14 Uhr, der Rest benötigt keine Betreuung zusätzlich zum Unterricht. Der Unterschied zwischen Angebot und Votum ist offensichtlich.
Unsere Initiative, die am 7.5.2007 die Arbeit mit einer diesbezüglichen Petition im Landtag NRW startete (momentan läuft wieder eine) trug an den Haupt- und Finanzausschuß der Gemeinde im April das Anliegen heran, eine ebenso differenzierte Bedarfsabfrage zu erstellen, wie wir sie leisteten. Die CDU-Mehrheit verweigert dieses mit ihrer Mehrheit (die anderen Parteien wären dafür, um die Faktenlage zu klären). Die Begründung dafür: Zuschüsse gibt es nur für den Ganztag.

Der Elternwille zählt nicht mehr, wenn es um Zuschüsse geht
Dabei sind die Eltern nach Recht und Grundgesetz die Erziehungsberechtigten und - verpflichteten.
In der Theorie ist die Welt so in Ordnung, die Praxis ist eine andere: Familien haben ihr Leben der gängigen Politik anzupassen - oder müssen sehen, wie sie klarkommen. Die Tatsachen stellen eine eindeutige Benachteiligung der Eltern dar, die für ihre Kinder da sein wollen und für die darum eine Ganztagsbeschulung nicht in Frage kommt. Das können und wollen wir so nicht hinnehmen, deshalb kämpfen wir. Und: Halbtagsbetreuung braucht genauso geeignete Räumlichkeiten wie die Ganztagsbetreuung.

Das Grundproblem ist, daß die derzeitige Politik einmal mehr nicht diffeenziert, sondern alles über ihren Kamm schert. Familien sind in ihren Lebensformen und -auffassungen sehr individuell - und das zu Recht. Die Politik fährt momentan die Einheitsschiene - und was nicht paßt, wird passend gemacht - so scheint die Devise zu sein. Der Landtag (die regierende CDU/FDP-Fraktion) brüstet sich ihrer "Ganztagsoffensive" (Sitzung vom 16.5.2008); Nordrhein-Westfalen sei "Ganztagsland Nr. 1". Was die Eltern konkret brauchen, ist dabei nebensächlich. Ganztagsfremdbetreuung nimmt den Familien aber mindestens 2-3 Stunden Zeit für ihr persönliches Familienleben, für familiäre Kommunikation und Reibungen. Dies den Familien, die dies wünschen, wieder möglich zu machen, dafür setzen wir uns ein.

Almut Rosebrock ist Verantwortliche der Initiative für Vielfalt in der Schulkinderbetreuung mit Sitz in Wachtberg im Rheinland,

Website: http://www.initiative-schulkinderbetreuung.de/