Freie Religionsausübung und die Coronakrise

Nina Stec

Das staatlich angeordnete Versammlungsverbot betrifft öffentliche Gottesdienste durch ihr völliges Verbot besonders drastisch.

Die katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen hatten offiziell den seit März geltenden Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus durch soziale Distanzierung zugestimmt, öffentliche Gottesdienste abgesagt und Gläubige dazu aufgerufen, die Regeln einzuhalten.

Zwischen den öffentlichen Äußerungen von Vertretern aus den verschiedenen evangelischen Kirchen in Deutschland und teilweise auch innerhalb des Katholizismus herrschen jedoch Spannungen und Uneinigkeit über den konkreten Umgang mit dem Gottesdienstverbot, welches einen tiefen Einschnitt in die Religionsfreiheit darstellt und weitreichende Folgen für die öffentliche Wahrnehmung der Kirche und die Religiosität im Land generell bedeuten kann.

Dies zeigte sich besonders während der Osterfeierlichkeiten, dem wichtigsten Fest der Christenheit, als die Kirchentüren geschlossen blieben. Präsenzfreie Alternativen, wie Fernsehgottesdienste und modernere online-Varianten, sollten zumindest eine virtuelle Teilhabe am Heilsgeschehen um den Tod und die Auferstehung Christi ermöglichen. Darüber hinaus mussten Erstkommunions- und Konfirmationsfeiern, Firmungen und auch Priesterweihen verschoben werden, während Taufen und Trauungen derzeit nur in Ausnahmefällen möglich sind und auch Trauerfeiern nur in stark eingedämmter Form stattfinden. Papst Franziskus bezeichnete das Ausfallen Heiliger Messen und die weiteren kirchlichen Einschränkungen bereits als gefährlich. Es drohe eine „Virtualisierung“ der Religion und der zwischenmenschliche Kontakt, die Gemeinschaft der Glaubenden, könne virtuell nicht hinreichend gelebt werden.

Trotz der Einschränkungen im kirchlich-religiösen Leben halten deutschlandweit zahlreiche Theologen an den Maßnahmen der Bundesregierung fest, wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der sich auf ein zentrales christliches Anliegen, der Fürsorge und Verantwortung für die Schwächeren, von COVID19 besonders bedrohten Menschen beruft, deren Leben es zu schützen gelte.

Doch die Verantwortung für den Schutz von Leben und Gesundheit der Gottesdienstteilnehmer und ihrer Mitmenschen wird mit dem Wunsch nach der Wiedererlaubnis von öffentlichen Gottesdiensten, beziehungsweise der Kritik an der Legitimität und Verhältnismäßigkeit ihres völligen Verbotes, an keiner Stelle in Frage gestellt.

Öffentlicher Gottesdienst und Infektionsschutz müssen einander nicht zwingend ausschließen. Er muss keine gesundheitliche Gefährdung oder hygienische Zumutung darstellen und könnte auch sicher und verantwortungsbewusst durchgeführt werden, wenn etwa Abstände eingehalten und Schutzkleidung getragen werden.

Der evangelische Theologe Harald Seubert warnt, dass Kirche in der Coronakrise unsichtbar werden könne, wenn sie sich widerspruchlos staatlichen Verfügungen und Verboten ergebe und ihre öffentliche Theologie dem Mainstream-Konsens anpasse. Der Berliner Propst Gerald Goesche zog unlängst vor das Bundesverfassungsgericht und zweifelte die Sinnhaftigkeit an, dass Supermärkte und Baumärkte öffnen dürfen, während Gottesdienste ausfallen müssen, obwohl diese ebenfalls systemrelevant und gerade in der Not der Krise für viele Menschen essenziell seien.

Seine Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die freie Religionsausübung nur teilweise und zeitlich befristet eingeschränkt sei. Diese Frist wurde allerdings in der Zwischenzeit bereits verlängert und die Kernfrage Goesches blieb unbeantwortet.

Warum sollte ausgerechnet bei Gottesdiensten ein absolutes verbot hilfreich sein, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen und Menschenleben zu schützen, wenn an anderer Stelle erhöhte Hygienemaßnahmen ausreichen?

Abgesehen davon, wie wichtig Kirche für Menschen sein kann und dass ein „echter“, also präsenzgebundener Gottesdienst und der direkte Kontakt in der Gemeinde nicht durch virtuelle Angebote ersetzt werden können und das auch gar nicht sollten, geht es hier um die massive Beschneidung zweier Grundrechte, der Versammlungsfreiheit und der freien Religionsausübung, deren Sinnhaftigkeit zumindest in Frage gestellt werden sollte. Das Ausmaß des Einsatzes von Coronaschutzmaßnahmen in Deutschland, das sich zwischen den verschiedenen Bundesländern teilweise erheblich unterscheidet, bleibt an vielen Stellen willkürlich und nicht nachvollziehbar.