Feigenblätter gesucht

Kommentar zur Debatte im Bundestag zum Stammzellengesetz

Mehr als 50 der 613 Abgeordneten haben im Bundestag das Wort ergriffen, um ihre Meinung zur geplanten Novelle des sog. Stammzellengesetzes zu äußern. Die Bundeskanzlerin war bei der über drei Stunden andauernden Debatte fast immer anwesend. Man hatte eine heftige Debatte erwartet, mit schwergewichtigen moralischen Argumenten oder leidenschaftlichen Plädoyers für die "Freiheit der Wissenschaft" und großartige Versprechen von medizinischen Heilungen.

Stattdessen verlief die Debatte merkwürdig ruhig und unpassioniert. Man war sich zu sehr dessen bewusst, daß jeder Kompromiss ein fauler Kompromiss sein würde. Nach geltender Rechtslage darf in Deutschland nur an solchen embryonalen Stammzellen geforscht werden, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden und aus dem Ausland stammen. Die größte Gruppe von Abgeordneten favorisiert eine Verschiebung des Stichtages vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007. Doch diese Abgeordneten vertreten diese Position mit wenig Überzeugung. Denn die eine Verschiebung des Stichtags würde schon die nächste ankündigen. Deshalb sprechen die Abgeordneten, die dagegen sind, heute schon von einer "Wanderdüne".

So gesehen sind nur zwei Gesetzesprojekte logisch: Der Entwurf von Hubert Hüppe, der jegliche Tötung von Embryonen verbieten will (Dieser Entwurf wird von der DVCK e.V. und ihrer Aktion SOS Leben unterstützt) und der Entwurf der FDP-Abgeordneten Flach, der die Stichtagsregelung abschaffen und somit die Forschung mit getöteten Embryonen komplett liberalisieren will. Dieser zweite Entwurf ist moralisch so untragbar, daß er kaum Chancen auf eine Mehrheit hat. Doch die Stichtagsregelung ist es im Grunde genommen ebenso, nur mit einem Feigenblatt.

Der Mangel an Überzeugung der Abgeordneten zeigt, daß sie nicht mit gutem Gewissen in die Debatte gezogen sind. Die Mehrheit traut sich zwar nicht, die Tötung ganz abzuschaffen, doch sie sind ebensowenig für eine uneingeschränkte Freiheit der Wissenschaft. Am liebsten würden sie sich überhaupt nicht mit dem lästigen Thema beschäftigen wollen. Die moralischen Appelle derjenigen in Deutschland, die sich – wie SOS Leben – seit Anfang der 1990er Jahre für das Recht auf Leben der Ungeborenen in der Öffentlichkeit einsetzen, scheint doch etwas in das Gewissen mancher Politiker eingedrungen zu sein.