Dokumentation: Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Podiumsdiskussion "Unangepaßte Jugendliche in der DDR"
Berlin, 11.03.2008Neunzehn Jahre ist es nun schon her, daß die Mauer gefallen ist. Junge Leute wie Sie haben die DDR nicht erlebt. Sie kennen das Unterdrückungssystem der SED-Diktatur und auch den Widerstand vieler mutiger Menschen, die sich damals in Ostdeutschland für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, nur aus Büchern, Filmen und Erzählungen.
Vielleicht kennen Sie aber auch ganz andere Erzählungen; solche, in denen die DDR als behüteter Ort verklärt wird, wo jeder einen Arbeitsplatz hatte, wo das Leben übersichtlich und nur die Südfrüchte knapp waren.
Ich kann gut nachfühlen, dass viele Menschen - übrigens nicht nur im Osten unseres Landes - sich heute nach Sicherheit und Überschaubarkeit sehnen. Wer aber glaubt, die DDR hätte diese Wünsche erfüllt, täuscht sich. Denn für die vermeintliche Sicherheit, die das SED-Regime damals bot, wurde den Menschen ein hoher Preis abverlangt. Bis zu 250.000 Frauen, Männer und Jugendliche wurden nach Schätzung von Experten in der SBZ und der DDR im Gefängnis eingesperrt - nur weil sie eine andere Meinung vertraten als die Machthaber. Und auch wer nicht inhaftiert war, wer einfach nur sein Leben mit Meinungs- und Reisefreiheit führen wollte, wer gar versuchte, seinen Kindern Meinungsfreiheit zu vermitteln, erlebte permanent Gängelung und stieß an Grenzen - nicht nur solche aus Beton und Stacheldraht, sondern auch aus Verboten und subtilem Zwang zur Anpassung.
Und was die soziale Sicherheit in der DDR angeht: Die stand auf tönernen Füßen. Die scheinbare "Vollbeschäftigung" war mit enormen Auslandsschulden, mit unproduktiven Arbeitsplätzen, versteckter Arbeitslosigkeit, Raubbau an der Natur und in vielen Fällen mit Misswirtschaft zu Lasten des allgemeinen Lebensstandards erkauft. Als die Mauer in Berlin fiel, war die DDR wirtschaftlich bereits bankrott. Heute wollen manche nicht mehr sehen, wie brüchig die scheinbare Idylle längst war, als sie 1989 von der friedlichen Revolution hinweggefegt wurde.
Daran zu erinnern - und das betone ich - heißt nicht, das persönliche Lebensglück der Menschen in der DDR gering zu schätzen oder ihre Leistungen abzuwerten, Leistungen, die sie meist unter viel schwierigeren Bedingungen erbringen mussten als ihre Landsleute im Westen. Aber eines muss eben auch deutlich gesagt werden: Diese Leistungen und dieses Lebensglück gab es nicht wegen, sondern eben doch im Wesentlichen trotz des SED-Regimes. Das sollte nicht unseren Respekt vor der Lebensleistung vieler Menschen schmälern, aber es sollte uns wachsam machen gegen alle Versuche, die DDR schönzureden.
Für Sie mag es kaum vorstellbar sein, dass vor noch nicht 20 Jahren in Ostdeutschland schon ein kritisches Wort schreckliche Folgen haben konnte. Selbst Jugendliche, die sich gar nicht politisch engagierten, konnten in das Räderwerk der Unterdrückung geraten. Es reichte in der DDR schon, seine eigene Musik hören, seinen eigenen Berufswunsch verfolgen oder sich seine Freunde selber aussuchen zu wollen. Die heutigen Zeitzeugen werden Ihnen berichten, was sie als Kinder und Jugendliche erlebt haben. Frau Rusch zum Beispiel kann erzählen, wie es ist, als Kind einer Mutter aufzuwachsen, die sich in der Opposition engagiert. Herr Boehlke hat Punkmusik gemacht - was natürlich nicht nur ein Hobby, sondern auch eine politische Aussage war - und wäre deshalb damals fast ins Gefängnis gegangen. Herr Hirsch hat sich schon als Schüler eine eigene, kritische politische Meinung gebildet und wurde - obwohl er anfangs gerade mal 14 war - von da an immer wieder von der Staatsgewalt schikaniert. Herr Beyer schließlich kann Ihnen berichten, wie es war, als Jugendlicher in den Anfangsjahren der DDR für Freiheit und Demokratie einzutreten - sein Engagement brachte ihm damals fünf Jahre Haft ein.
Davon werden wir jetzt gleich mehr hören, und dann haben Sie, liebe Jugendliche, auch die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Aber vorher möchte ich noch meinem Mitgastgeber, Herrn Eppelmann von der Stiftung Aufarbeitung, das Wort erteilen. Wir haben diese Gesprächsreihe zusammen mit ihm und der Stiftung gestaltet. Herr Eppelmann, dafür bin ich Ihnen dankbar, und bitte, Sie haben das Wort!
Quelle: Internetauftritt des Bundespräsidenten