Aktion SOS LEBEN – 20 Jahre im Kampf für das Lebensrecht der Ungeborenen
Ende dieses Jahres sind es zwanzig Jahre, da die Aktion SOS LEBEN an die Öffentlichkeit trat. Über den Ursprung dieser Initiative und den Ereignisträchtigen Verlauf ihrer Tätigkeiten in dieser Zeit sprachen wir mit dem Leiter der Aktion, Herrn Benno Hofschulte.Berichte, Kommentare, Initiativen: Herr Hofschulte, SOS LEBEN wurde Ende 1990 ins Leben gerufen, die DVCK existiert aber schon etliche Jahre früher. Wie kam es damals zur Entscheidung zu dieser Initiative?
Benno Hofschulte: Im Jahre 1985 wurde die Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) e.V. in Frankfurt gegründet. In einer Epoche wie der unseren, in der große Orientierungslosigkeit herrscht, hatte die DVCK das Ziel, auf Werte und Prinzipien der christlichen Zivilisation als moralische Stützpunkte - besonders für die heutige Jugend - hinzuweisen. In diesem Sinne begann sie kulturelle Freizeitprogramme für Jugendliche zu organisieren, in denen das historischkulturelle Erbe des christlichen Abendlandes immer hervorgehoben wurde.
Die folgenden Jahre waren durch eine positive Entwicklung geprägt. Kontakte wurden nach überall hin aufgenommen und allmählich bildeten sich in verschiedenen Städten Kreise von Freunden und Sympathisanten der DVCK.
Die aufkommende Diskussion über die Neuregelung des § 218 im Zuge der Wiedervereinigung sowie die Teilnahme an einem von der Europäischen Ärzteaktion veranstalteten Kongress in Dresden Ende September 1990 ließen das Thema nicht nur als Gesprächs- und Diskussionsgegenstand aktuell in unseren Begegnungen mit Jugendlichen werden, sondern brachte die Mitglieder der DVCK auch zu der festen Überzeugung, etwas Konkretes zum Schutz der ungeborenen Kinder unternehmen zu müssen. So kam die Aktion SOS LEBEN Anfang 1991 zustande. Bei dieser Aktion beschloss man eine Aktionsweise zu nutzen, welche die Chance bot, auf direktem Wege und über einen längeren Zeitraum hinweg Menschen anzusprechen bzw. anzuschreiben, denen es ein persönliches Bedürfnis ist, sich für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder einzusetzen. Erste Bemühungen zeigten, dass sich ein kalkulierbares Risiko lohnen würde. Und so war es auch: Der Zuspruch war sehr groß, wir konnten systematisch die Anzahl von Teilnehmern vergrößern. Das wäre natürlich ohne der Großzügigkeit der Spender nicht möglich gewesen, bei denen ich mich an dieser Stelle bedanken möchte.
Welche Perspektiven bestanden nach dem Einigungsvertrag hinsichtlich einer Neufassung des § 218 StGB?
Hofschulte: Im ersten Anlauf der Diskussionen war zu befürchten, dass die Abtreibungsregelung der DDR, die einer straflosen Freigabe bis zur 12. Schwangerschaftswoche entsprach, die sogenannte Fristenlösung, einfach im Wiedervereinigungsvertrag übernommen würde.
Welche Position nahmen Bundeskanzler Helmut Kohl, dem "Kanzler der Einheit", und Wolfgang Schäuble, die Hauptperson bei den Verhandlungen des Einigungsvertrages bezüglich der Neuregelung des § 218 ein?
Hofschulte: SOS LEBEN hat ihre Teilnehmer aufgerufen dem Bundeskanzler eine Postkarte zu schicken, in der wir ihn ersuchten, bei der Abstimmung die Parteidisziplin mit namentlicher Stimmabgabe geltend zu machen, damit die CDU/CSU in ihrer Gesamtheit gegen die Fristenlösung stimmen sollte, d.h. gegen den gemeinsamen Entwurf von SPD/FDP. Die Stimmenverhältnisse waren nämlich ziemlich knapp für eine absolute Mehrheit. Es fehlten nur 15 Stimmen um diese Mehrheit zu erreichen. Leider erfüllten Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble die Hoffnungen der christlichen-konservativen Wählerschaft nicht. Sie bemühten sich nicht, Stimmen bei der Opposition zu bekommen für ihren Gegenentwurf. SPD und FDP jedoch konnten am Ende erreichen, dass 32 Mitglieder der CDU für den Entwurf der Fristenlösung stimmten und erreichten so locker die Absolute Mehrheit.
Wie reagierte die Abtreibungslobby? Gab es Feindseligkeiten gegenüber SOS LEBEN?
Hofschulte: Die Abtreibungslobby war sehr aktiv und übte massiven Druck auf die Politiker aus. Einen gewaltigen Einsatz für die Fristenlösung leistete sich die Frauenpolitikerin der FDP, Frau Uta Würfel, mit einem Werbebrief an die 120 evangelischen und konfessionslosen Bundestagsabgeordneten der CDU und CSU, in dem sie um Unterstützung für den überparteilichen Gruppenantrag von SPD und FDP bat. Dieser Gruppenantrag sollte das "Abtreibungsrecht", so die Formulierung, im Sinne einer Fristenlösung reformieren.
Was die Feindseligkeiten betrifft, so gab von der Abtreibungslobby und von Abtreibungsbefürwortern nicht zu beachtende Reaktionen gegen den Einsatz von SOS LEBEN. Doch leider muss gesagt werden, dass hie und da aus der Lebensrechtsbewegung und auch von Seiten der katholischen Bistümer vereinzelt Attacken kamen.
Führte das Thema Abtreibung zu heftigen Debatten? Polarisierte es die Meinungen oder versuchten die Politiker stets eine Friedhofsruhe einzurichten?
Hofschulte: Wie aus dem oben Geschilderten zu ersehen, führte das Thema Neuregelung des §218 zu heftigen Debatten nicht nur im Bundestag. Es gab in der Zeit viele Veranstaltungen für und wider Abtreibung und Fristenlösung, in denen heftig debattiert wurde. Leider gab es auf der Seite der Unionsparteien Ansätze, das Thema endlich als abgeschlossen anzusehen, gerade nach der Entscheidung von 1992. Unter den Politikern kursierte ununterbrochen das Wort "Kompromissbereitschaft". Diese war aber immer nur eine Einbahnstraße, die dazu diente, christlich-konservative Politiker zu zwingen, den immer extremeren Forderungen der Abtreibungsbefürworter nachzugeben.
Wie war die Stimmung bei den Lebensrechtlern nach der Abstimmung 1992 im Bundestag?
Hofschulte: Es gab schon eine große Enttäuschung über die Haltung der sogenannten christlichen Parteien, die sich nicht so heftig für die Sache der Ungeborenen eingesetzt haben wie es die Politiker von SPD und FDP getan haben, um das Recht auf Tötung der Ungeborenen durchzusetzen. Einen effektiven Einsatz für die Wahrung der Fundamente unserer christlichen Gesellschaft war von Politkern nicht zu erwarten. Doch den Mut weiterzukämpfen, verlor man in der Lebensrechtsbewegung nicht. Es musste verhindert werden, dass in der öffentlichen Meinung die Tötung ungeborener Kinder als etwas Normales hingenommen würde. Auf die Tatsache, dass da ein unschuldiger Mensch hingerichtet wird, muss ständig und immer wieder hingewiesen werden.
Wie kam es zur Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Hofschulte: Das am 27. Juli 1992 gebilligte neue Gesetz sollte eine für das gesamte Deutschland geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs schaffen und die bis dahin geltenden Rechtsunterschiede im vereinigten Deutschland beseitigen. Die Abtreibung wurde unter gewissen Bedingungen als "nicht rechtswidrig" erklärt, was so nicht hinnehmbar war. Daraufhin haben die Bayerische Staatsregierung und 249 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages einen Antrag an das Bundesverfassungsgericht gestellt, um die Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes zu überprüfen. Das BVerfG hat den Antrag angenommen und am 28. Mai 1993 eine Übergangsregelung veröffentlicht, mit der Auflage, der Gesetzgeber müsse anhand der gegebenen Richtlinien ein neues Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch vorlegen. So kam es dann zum Gesetz von 1995.
Was sind ihre intensivsten Erinnerungen aus diesen bewegten Jahren 1990-1995?
Hofschulte: Hier könnte ich natürlich nach all den Jahren sehr viel berichten. Eine besonders schöne Erinnerung, die lebenslänglich bleibt, ist die Begegnung mit den vielen Menschen, mit denen man zusammen für die Ungeborenen gekämpft hat. Obwohl es viele schwierige Situationen und auch bittere Erlebnisse gab, sind sie wenig, im Vergleich mit Freundschaften und Begegnungen, die man erlebt hat. Wir alle in SOS LEBEN haben viel Solidarität, Unterstützung und Dankbarkeit erlebt. Hätten uns nicht so viele - insbesondere die Teilnehmer der Aktion - Mut gemacht, wäre die Arbeit um ein Vielfaches schwieriger gewesen. Der Kampf für ein Ideal bringt Menschen sehr eng zusammen.
Kürzlich gab es Kontroversen rund um die Jubiläumsfeier des Vereins Donum Vitae? Welche Position übernahm SOS LEBEN in der Beratungsscheindebatte?
Hofschulte: SOS LEBEN war von Anfang an strickt gegen die Ausstellung eines Beratungsscheins, der dann zu einer "rechtswidrigen aber straffreien" Abtreibung berechtigte. Erzbischof Johannes Dyba sprach von einer "Tötungslizenz", und das ist auch der Beratungsschein. Denn nur mit diesem in der Hand der Frau darf ein Arzt eine Abtreibung durchführen. SOS LEBEN hat sich sehr stark bei den Bistümern eingesetzt, sie sollen die Aushändigung von Beratungsscheinen den katholischen Beratungsstellen untersagen, denn die Kirche dürfe auf keiner Weise an der Tötung ungeborener Kinder teilhaben. Ganze fünf Jahre hat es gedauert bis die Bistümer den mehrfachen Schreiben Papst Johannes Paul II. endlich nachgekommen sind.
Wenn Sie die 1990er Jahre mit den letzten 10 Jahren vergleichen, was hat sich im Thema verändert, ist die Stimmung wesentlich anders als damals?
Hofschulte: In der Politik ist man dem Thema seit 1995 versperrt. Vor einem Jahr hat der Bundestag über Spätabtreibung debattiert und eine neue Regelung gebilligt, die aber im Grunde nicht viel ändert, um Spätabtreibungen zu verhindern. Ein weiteres Feigenblatt, um weitere Diskussionen zu erschweren.
Unter den Lebensrechtsbewegungen geht der Kampf weiter, auch wenn viele Politiker sich stumm, taub und blind tun. Dies ist wichtig, denn die in der öffentlichen Meinung muss das Thema immer wieder in Erinnerung gebracht werden. Es geht ja schließlich um ein hohes Menschenrecht, das nicht durch Schweigen und Friedhofsruhe verdrängt werden darf.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen. So gibt es ernsthafte Bemühungen in der "Jungen Union", das Thema Lebensrecht auf die politische Agenda zu setzen. Auch seitens der Senioren-Union gab es in jüngster Zeit erfreulich deutliche Stellungnahmen gegen die Abtreibungen.
Das hoffnungsvollste aber ist, dass viele Jugendliche das Thema sehr ernst nehmen und sich keineswegs mit der gegenwärtigen Situation abfinden möchten. Gerade bei der religiös sozialisierten Jugend ist das Lebensrecht der Ungeborenen sehr wichtig.
Und seitens der Abtreibungslobby - Feministen und sonstige Gruppen, die früher sehr aktiv waren - zeigen sich erhebliche Ermüdungserscheinungen.
Wie hat sich die Debatte um das Recht auf Leben in den Parteien selbst entwickelt? Ist es heute einfacher, mit dem Thema umzugehen, als damals? Hat sich das Thema etwas entideologisiert?
Hofschulte: Wie oben geschildert, muss man sagen, dass es mit Politikern nicht einfacher geworden ist, mit dem Thema umzugehen, weil die Mehrheit keinen Bedarf mehr an Debatten und Diskussionen sieht.
Wie sehen Sie die Zukunft? Wird man sich irgendwann mit den horrend hohen Abtreibungszahlen abfinden oder wird Protest aufrecht zu halten sein?
Hofschulte: Abfinden auf keinen Fall, vor allem, was die Lebensrechtsbewegung betrifft. Solange Abtreibung unter den heutigen gesetzlichen Bedingungen bestehen bleibt, wird es wahrscheinlich keine signifikante Reduzierung der Abtreibungszahlen geben. Was außerdem mit dazu beiträgt, dass Abtreibung in der Gesellschaft akzeptiert wird, ist die Tatsache, dass die Kosten auch noch von den Krankassen erstattet werden. Es gibt also praktisch kein Hindernis, eine Abtreibung vorzunehmen. Unter diesen Umständen muss der Protest gegen dieses Unrecht an Menschen unbedingt weitergeführt werden.
Wenn ich dies sage, möchte ich ergänzen, dass die Arbeit von SOS LEBEN dank der vielen Teilnehmer und Unterstützer möglich war. Ohne ihre finanzielle und ideelle Hilfe wäre der Einsatz für die Ungeborenen in den letzten 20 Jahren nicht möglich gewesen. Bei ihnen möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Sie haben bis heute dafür gesorgt, dass keine Friedhofsruhe in Sachen Lebensrecht der Ungeborenen eingekehrt ist. Doch vor allem möchten wir Gott danken für seinen Beistand in diesen Kampf gegen die Macht der "Kultur des Todes", zu dem Er uns berufen hat. Wir bitten weiterhin um Seine Gnaden und Seinen Segen für diese Aufgabe und für alle, die uns auf diesem Wege begleitet haben und künftig begleiten werden.
Wir danken für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg.